Die Klimaveränderung löst Ängste aus. Und endlich auch Taten. Bei einigen scheinen allerdings nicht die Fakten Panik zu bewirken, sondern die Klimastreikbewegung, die Botschafterin sozusagen. Zur vordringlichen Mission wird dann die Bekämpfung der «Klimareligion», nicht der Einsatz für das Leben. Klimapolitik wird zur Glaubensfrage.
Dieser antireligiöse Kirchenchor brüllt zurzeit in den Sozialen Medien und singt, in feinerer Sprache, in der NZZ. Der Historiker Volker Reinhardt warnt davor, den Kampf gegen die Klimaerwärmung «nicht zur Religion und damit zum Fanatismus eskalieren» zu lassen (NZZ, 22.5.19). Die Natur werde vergöttlicht und verkitscht. Der Mensch, sagt er mit Verweis auf den Tsunami 2004 und das Erdbeben in Lissabon 1755, das er im Spiegel Voltaires reflektiert, werde vielmehr «in ein Dasein geworfen, das er nicht versteht, und Kräften ausgeliefert, die ihn vernichten, ohne dass er weiss, warum».
Allerdings ist in den 250 Jahren seit Voltaire, im fossilen Zeitalter der kapitalistischen Industrialisierung – im Zuge der Aufklärung – einiges eben doch andersrum gelaufen: Der Mensch hat – gewissermassen an Gottes Stelle – die Natur Kräften ausgeliefert, die sie (und den Menschen) vernichten. Die Klimawissenschaft weiss ziemlich genau, warum die Lage verheerend ist. Die weltweite Klimastreikbewegung zeichnet sich gerade durch ihre Bezugnahme auf wissenschaftliche Erkenntnisse und völkerrechtliche Übereinkommen aus. Radikale politische Aktionen und Veränderungen des persönlichen Verhaltens, aber auch Panikstimmung und Hoffnungssuche haben diesen rationalen Hintergrund.
Béatrice Acklin Zimmermann, FDP-Politikerin und Theologin an der Paulus Akademie Zürich, spricht von einer «zunehmend religiösen Überhöhung der Klimadebatte» (NZZ, 23.8.19). Es sei höchst problematisch, dass die Klimastreikdemos den Berliner Erzbischof Heiner Koch «ein wenig an die biblische Szene vom Einzug in Jerusalem» erinnerten und er gesagt habe, «dass unsere Gesellschaft und auch unsere Kirche von Zeit zu Zeit echte Propheten braucht, die auf Missstände und Fehlentwicklungen hinweisen». Sie begründet ihre Position nobel mit Karl Barth, als ob dieser neben seiner Warnung, politische Bewegungen zu sakralisieren, im Darmstädter Wort 1947 nicht auch formuliert hätte: «Wir haben die christliche Freiheit verraten, die uns erlaubt und gebietet, Lebensformen abzuändern, wo das Zusammenleben der Menschen solche Wandlung erfordert.»
Der britische Historiker Niall Ferguson übertönt alle (NZZ, 3.9.2019): Die vor einer bevorstehenden Klimakatastrophe warnenden Kinder seien es, die in einem «Endzeitkult» Opfer forderten, wie einst Götter angesichts von Naturkatastrophen. Ferguson nennt in sexistischen und despektierlichen Worten Greta Thunberg mit ihrer «Zwangsstörung» einfach «entnervend».
Als ob man zurückrudern müsste, weil einem die Felle davonschwimmen, schreibt Peter Rásonyi im Leitartikel (NZZ, 27.9.19) plötzlich: «Greta Thunbergs atemraubender Aufstieg ist gut für das Weltklima.» Er ist ehrlich: «Dieser Auftritt und diese Sprache können Angst machen. Angst wegen der Folgen der Klimaveränderung, die Thunberg so drastisch schildert. Angst aber auch vor einer Radikalisierung, die sich von Thunbergs Sprache auf eine ganze Generation ausbreiten könnte.» Das ist die Angst vor dem System Change, der in vieler Munde ist. Das ist nicht nur die Ablehnung von Weltuntergangsszenarien und Veganismus. Das ist die Angst vor dem Sachverstand und der kreativen Lebensfreude der Klimabewegung.
Und es ist wohl die Angst, dass letztlich eben nicht die Ökologie als Götze entlarvt wird – was genau ist eigentlich so schlimm daran, wenn Menschen die Schöpfung bestaunen, zu ihr Sorge tragen, sie vielleicht sogar mit dem Göttlichen gleichsetzen? Nackt dastehen könnte plötzlich der Kapitalismus als «reine Kultreligion» (Walter Benjamin), der Wachstumsfetischismus im Zentrum unseres Wirtschaftssystems, der die Aufklärung ad absurdum führt.●