Die kleine Zeitschrift Neue Wege stellt grosse Fragen. «Wie geht Kritik?» war der Schwerpunkt der Ausgabe 4.24. Mit diesem kritischen Blick steigt sie jetzt in die nächste Debatte ein: «Ein Sozialismus fürs 21. Jahrhundert?»
Ob «Sozialismus» fürs 21. Jahrhundert noch taugt, waren sich die am Neue Wege-Gespräch Beteiligten nicht einig. Zum Beispiel bei der Frage, ob «Härte» oder «Zwang» ins sozialistische Vokabular gehören, zeigten sich Differenzen. Denn Sozialismus wäre «Solidarität, die freie Entwicklung des Einzelnen, verbunden mit der freien Entwicklung aller, inklusive aller Lebewesen auf diesem Planeten», so der Sozialphilosoph Michael Brie. Feline Tecklenburg, Co-Leiterin der Geschäftsstelle von «Wirtschaft ist Care», und die Ärztin Maja Hess, Präsidentin von «medico international Schweiz », führen die Diskussion ins Konkrete, zur Vergesellschaftung des Energiebereichs oder zu feministischen Experimenten vor Ort.
Die berühmte US-amerikanische Philosophin Nancy Fraser fordert – gegen den Zeitgeist – Sozialismus, und zwar einen, dem es angesichts von Katastrophen und Krisen nicht nur um die Wirtschaft, sondern um alles geht. Denn der Kapitalismus, so sagt Fraser im Gespräch, sei ein kannibalisches System, das seine eigenen Grundlagen auffresse. Dazu zählten Care-Arbeit
und natürliche Ressourcen. Für eine sozialistische Alternative brauche es deshalb nicht nur die traditionelle Gewerkschaftsbewegung. Arbeit müsse zum gemeinsamen Thema einer breiten Allianz von feministischen, antirassistischen, antikolonialen und weiteren Bewegungen werden.
Das Parteiprogramm der SP Schweiz von 2010 spricht vom «demokratischen Sozialismus» und der «Überwindung des Kapitalismus». Die Neuen Wege haben es beim Co-Präsidenten Cédric Wermuth, bei der Sekretärin von SP queer Mia Jenni, beim Politikwissenschaftler Raul Zelik, beim abgetretenen Juso-Präsidenten Nicola Siegrist, bei der Klimaschützerin Payal Parekh und beim Sozialethiker Franz Segbers in Erinnerung gerufen: Wie stehen sie heute zu dieser Vision, und wie gehen sie mit der Kluft zur Realpolitik um?
Die Neuen Wege haben neben «Kritik» und «Sozialismus» auch «Religion» in ihrem Untertitel. Die Redaktionsleitung hat Ein sozialistisches Programm wiedergelesen, das Religiöse Sozialist*innen nach dem Ersten Weltkrieg in der Schweiz vorlegten. Geneva Moser und Matthias Hui fragen: Was wären religiös-sozialistische Perspektiven als Beitrag zu einer lebendigen Linken heute?
Die Beilage Erwägungen der Theologischen Bewegung für Solidarität und Befreiung ist im Kontext des Netzwerks migrationscharta.ch der Thematik «Asylrecht unter Druck» gewidmet.
Inhalt
Nancy Fraser: Demokratisch über alle Arbeit entscheiden
Matthias Hui und Amelia Horgan
Sozialismus steht für solidarische Gesellschaft
Neue Wege-Gespräch mit Michael Brie, Feline Tecklenburg und Maja Hess
«Unsere Vision – der demokratische Sozialismus»
Cédric Wermuth, Mia Jenni, Raul Zelik, Nicola Siegrist, Payal Parekh und Franz Segbers
Religiös-sozialistische Perspektiven
Matthias Hui und Geneva Moser
Bilder: Oro Verde
Ritual Inhabitual
Anstoss: Spiegelung
Iren Meier
Zur Weltenlage: Russlands Zukunft liegt im Nebel, aber es gibt einen Hoffnungsschimmer
Yuri Dzhibladze
Lesen: System Change – aber wie?
Esther Gisler Fischer
Gefühlsduselei: Brüche
Geneva Moser
Nadelöhr: Der Fall KlimaSeniorinnen und der heilige Volkswille
Matthias Hui
Erwägungen 2/2024
Asylrecht unter Druck
Bestellung Einzelheft (64 Seiten, CHF/EUR 12.-)
Neue Wege
Administration
Pfingstweidstrasse 28
CH-8005 Zürich
044 205 99 69
info@neuewege.ch