Die Ausgabe der Neuen Wege zu Eritrea hat uns gezeigt, was mit dem neuen zweimonatigen Erscheinungsrhythmus unserer Zeitschrift seit 2024 im Idealfall möglich ist: ausgedehntere Recherchen, nicht nur punktuelle Kontakte zu Protagonist*innen und Autor*innen, die Aufnahme der Thematik in Veranstaltungen zusammen mit Partner*innen, das Eingehen auf Reaktionen von Leser*innen.
Die journalistische Beschäftigung mit eritreischen Menschen in der Schweiz hat uns von der Redaktionsleitung der Neuen Wege die Augen geöffnet für Lebensgeschichten sowie migrations- und entwicklungspolitische Zusammenhänge und Abgründe, die wir zuvor – wie viele Leser*innen offenbar auch, wie wir in Zuschriften erfuhren – ausblendeten oder nur in groben Zügen wahrnahmen. An der gesamtschweizerischen Demonstration von regimekritischen Eritreer*innen vom 22. Juni in Bern haben wir realisiert, wie stark sich unser Bild differenziert und gewandelt hat.
Unter den vielen Teilnehmenden machten wir verschiedene unserer Gesprächspartner*innen aus. Einzelne von ihnen fragten spontan nach Exemplaren der Neuen Wege, um sie weiterzugeben zu können. An der grossen Demonstration vom Bundesplatz durch die Innenstadt wurde ein Ende der transnationalen Repression gegen Eritreer*innen gefordert. Kritisiert wurde die Einflussnahme der eritreischen Diktatur auf Eritreer*innen in der Schweiz. Immer wieder thematisiert wurde auch die rassistische Politik gegenüber Eritreer*innen im Parlament. Im Juni nahm der Nationalrat eine Motion der FDP-Ständerätin Petra Gössi zur Abschiebung von abgewiesenen eritreischen Asylsuchenden in einen Drittstaat wie Ruanda. Nicht nur Charlotte Walser im Tages-Anzeiger bezeichnete diesen Vorstoss als «absurde Lösung» (10.6.24). Dieser Vorstoss ist unter dem Eindruck des rechtswidrigen Ruanda-Abschiebedeals in Grossbritannien zustande gekommen; dort hat die menschenverachtende Strategie allerdings nicht zur Wiederwahl der Konservativen geführt und ist von der neuen Labour-Regierung umgehend entsorgt worden. Allerdings hat die Stimmungsmache in der parlamentarischen Politik die im August ausgebrochene rechtsradikale Hetze in England geschürt. Diese Verantwortung laden sich auch in der Schweiz die bürgerlichen Parteien auf, wenn sie auf dem Buckel der wenigen Eritreer*innen mit definitiv abgelehntem Asylgesuch «billige Symbolpolitik» (Tages-Anzeiger 10.6.24) betreiben.
Die Neuen Wege 3.24 haben viel Echo ausgelöst. Eine kritische Leserinnenreaktion hat uns Barbara Müller aus Basel zugestellt: «Ich schicke voraus, dass ich die kritischen und solidarischen Beiträge in Neue Wege seit Jahren lese und schätze. Die Ausgabe 3.24 Eritrea transnational setzt sich mit der desolaten Lage der jugendlichen Asylbewerber (in ihrer Mehrzahl junge Männer) aus Eritrea auseinander und kritisiert zu Recht den Umgang der Schweiz mit diesen oft traumatisierten Jugendlichen. Die selbst aus Eritrea stammende Jugendpsychiaterin Fana Asefaw beschreibt die krankmachende Ausweglosigkeit, in der sie sich befinden: Ihr Fluchtgrund wird nicht anerkannt, sie dürfen nicht bleiben, können aber auch nicht ausgeschafft werden. Die Psychiaterin schildert aber auch, dass einige aus dieser Situation heraus ‘gefährlich wurden und Straftaten begingen’. Zu diesen Straftaten gehören die Überfälle auf Versammlungen von andersdenkenden Menschen mit eritreischen Wurzeln, die sich nicht als Gegner*innen des Regimes von Afewerki verstehen: Sie sind das Ziel gewaltsamer Überfälle, mit Dachlatten und Stöcken als Waffen, bei denen auch Polizisten spitalreif geschlagen wurden. Diese Gewalttaten sind politisch motiviert und transnational organisiert. Sie sollen bewirken, dass sich die Andersdenkenden in der Schweiz und anderen europäischen Staaten nicht mehr versammeln dürfen. Dies widerspricht dem Recht auf Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit, das der schweizerischen Demokratie zugrundeliegt. Zur Gewaltanwendung durch eritreische Regimegegner fehlt eine Stellungnahme der Redaktion. Im Leitartikel von Geneva Moser und Matthias Hui wird der Politikwissenschaftler Samson Yemane mit den Worten zitiert: ‘Ich erachte die Militanz als legitim’, ohne, dass sich die Redaktion von dieser Aussage distanziert. Das bedaure ich sehr. Dass der eritreische Unterdrückungsapparat seine Arme in die Schweiz ausstreckt und seine Staatsangehörigen bedroht, wird zu Recht angeprangert. Um sich dagegen zu wehren, gibt es in einem demokratischen Staat jedoch andere Mittel als Gewalt.»
Sandro Fischli aus Bern hat – wie andere Leser*innen auch – Exemplare für eritreische Bekannte und Nachbar*innen bestellt, die wir zu diesem Zweck auch weiterhin gerne kostenlos zur Verfügung stellen. Der pensionierte Sozialarbeiter schreibt dazu: «Ihr habt da ein ganz, ganz wichtiges Thema aufgegriffen. Die Eritreer thematisieren auch erstmals den unmöglichen Status F der vorläufigen Aufnahme, ein politisches Unding, mit dem einzig der völkerrechtlichen Bedingung des Non-Refoulements genüge getan werden soll. Keiner von ihnen wird zurückgehen, alle werden nach 7 Jahren in einen B- oder C-Status beziehungsweise den Status von schweizerischen Sozialhilfeberechtigten überführt. Also: Warum nicht hier endlich ‘sauberen Tisch’ machen und die Geflüchteten aufnehmen?!»
Auch Birke Müller ist als Pfarrerin in St. Gallen mit Flüchtlings- und Migrationsarbeit vertraut: «Obwohl ich schon etwas über diese Situation der eritreischen Diaspora wusste, hat Euer Heft mein Wissen deutlich vertieft. Klasse fand ich, diese Infos durch die Interviews von Eritreer*innen zu erhalten, also dass nicht über sie, sondern mit ihnen geschrieben wurde. Vielen Dank für diese Ausgabe!» Dieter Liechti aus Bülach bedankt sich für die Eritrea-Nummer, «die eine schmerzliche Lücke füllt». In ähnlichem Sinn hat sich Ina Praetorius, feministische Theologin und Autorin hat sich aus Wattwil gemeldet: «Am Wochenende habe ich das NW-Heft über Eritrea gelesen. Vielen Dank dafür! Dass es mir ‘gefallen’ hat, kann ich nicht behaupten. Ich habe mich über mich selber gewundert, dass ich mich so lange mit sehr holzschnittartigen Informationen über dieses Land und über die vielen Leute aus Eritrea zufriedengegeben habe, die natürlich auch hier im Toggenburg leben. Danke für die kompakte Information über Situationen, die halt auch noch da sind in einer Welt, die auch ohne sie schon genug Probleme hätte. Ich finde solche Themenhefte eine sehr gute Idee.»
Jörg Bürgi aus Laufenburg verfasste nach der Lektüre des Hefts («Hoffentlich bewirkt sie etwas!») gleich ein Schreiben an das Co-Präsidium der SP Schweiz, das er uns weiterleitet: «Sicher habt Ihr die aktuelle Nummer der Neuen Wege mitbekommen. Sie ist sehr detailliert und umfassend zu Eritrea. Ich weiss, die SP hat auf den Eklat im Ständerat reagiert. Habt Ihr einen konkreten Plan, um die Situation der Eritreer*innen in der Schweiz zu verbessern? Es sollte nicht mehr nötig sein, einen Pass von der diktatorischen Regierung zu erhalten, um den Status C zu erhalten.» Und Köbi Gantenbein aus Fläsch vermerkt: «Schöne Nummer über Eritreer*innen - Menschen, Nöte, Freuden, die ich nicht kenne. Es ist Eure Stärke, Geschichten zu solchen Realitäten zu bringen.»
Die Neuen Wege möchten dazu beitragen, dass das Thema in der Öffentlichkeit weiter debattiert wird. In Planung ist eine Veranstaltung im Herbst in Zürich zusammen mit dem Solinetz Zürich, mit dem Eritreischen Medienbund und weiteren Träger*innen. Dort werden eritreische Menschen in der Schweiz ihre Situation als Geflüchtete in oft prekären Umständen und als Menschen, die weiterhin im Visier des eritreischen Regimes sind, aufzeigen, und es sollen bezüglich der Rolle der Schweiz politische Ansätze diskutiert werden.
*1962, ist Co-Redaktionsleiter der Neuen Wege, Theologe und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Menschenrechtsinstitution SMRI.