Republika­nische Religions­politik

Matthias Hui, 26. Juli 2018
Neue Wege 7-8/18

In der Republik Genf ist die Trennung zwischen Staat und Kirche besonders scharf. Seit 1907 unterstützt der Kanton Kirchen nicht mehr, sie sind private Körperschaften. Ein so verfasster Laizismus, beeinflusst von der benachbarten französischen Republik, liesse ein entspanntes, distanziertes Verhältnis zu den Religionen erwarten. Aber die aktuelle Reform des Laizismusgesetzes zeigt das Gegenteil. Der Genfer Grossrat debattierte im April hitzig, unversöhnlich und ausufernd über Religion. 

Wie der Lausanner Religionssoziologe Philippe Gonzalez erklärt, verfolgte der ursprüngliche Gesetzesentwurf einen Laizismus, bei dem der Staat sich dem religiösen Pluralismus gegenüber geöffnet und mit den vielfältigen Gemeinschaften kooperiert hätte. Damit sollte der historisch gewachsene Laizismus der Separation weiterentwickelt werden. Was im Lauf der Gesetzesarbeit immer stärker Oberhand gewann, ist nun aber eine exklusive Form: Der Staat drängt Religiosität aktiv aus dem öffentlichen Raum. 

Das neue Laizismusgesetz ist kein Resultat philosophischer Grundsatzdebatten, es ist Ausdruck einer islamophoben Stimmungsmache populistischer PolitikerInnen. Es unterstellt religiöse Kundgebungen im öffentlichen Raum einem speziellen Regime. Staatsbeamte und ParlamentarierInnen dürfen ihre Religionszugehörigkeit nicht durch äusserliche Zeichen sichtbar machen. Der Staat muss gegebenenfalls heikle Abwägungen treffen: Er kann gegen «sektiererische Abweichungen» vorgehen und zur Verhinderung «schwerer Störungen der öffentlichen Ordnung» das Tragen von «demonstrativen» religiösen Symbolen im öffentlichen Bereich unterbinden. Weitergeführt wird die Möglichkeit für anerkannte Religionsgemeinschaften, über das staatliche Steuersystem Unterstützungsbeiträge zu er­­heben; dafür hatten sich die Kirchen stark gemacht. Auch sie brachten ihr Befremden zum Ausdruck, dass die Gesetzes­entwürfe einen Geist atmeten, der Religionen als Bedrohung für das Gemeinwesen und nicht als Beitrag dazu versteht. 

 

 

Jetzt erhebt sich Widerstand. Die Kirchen allerdings sind nicht dabei. Ein Kleeblatt von vier Referendumskomitees bringt das Gesetz zur Volksabstimmung. Das erste argumentiert demokratiepolitisch: Es brauche keine Spezialgesetze, sondern die Achtung der Meinungsäusserungs- oder Versammlungsfreiheit. Das zweite ist feministisch aufgestellt: Das Gesetz diskriminiere muslimische Frauen. Das dritte plädiert in menschenrechtlicher Perspektive für Religionsfreiheit. Das vierte verfolgt gewerkschaftliche Anliegen: Menschen, die religiöse Zeichen tragen, dürfen nicht willkürlich vom Service public ausgeschlossen werden. 

Die Auseinandersetzung in Genf ist vor dem eidgenössischen Wahljahr 2019 und der Abstimmung über das Burka­verbot wegweisend. Was kann die Schweiz lernen? Erstens ist Religion wieder ein kontroverses öffentliches Thema. Deshalb sollten zweitens der Staat und die Medien, die Universitäten und die Parteien Räume für entsprechende Debatten schaffen. Drittens muss gerade die Linke schnellstmöglich, wie etwa SolidaritéS in Genf, Elemente einer fortschrittlichen Religionspolitik erarbeiten. Sie darf aber nicht in die rechte Falle treten und – wohlmeinend – nur den Islam zum Thema machen, wie dies die SP gerade tut. Denn viertens geht es darum, Islamophobie – genauso wie Antisemitismus – im Alltag und als politische Zeuselei konsequent zurückzudrängen. Das gelingt, fünftens, nur, wenn Religionspolitik konsequent als Menschenrechtspolitik verstanden wird – auch von den Kirchen, die auf Privilegien verzichten müssen, aber Glaubwürdigkeit gewinnen können: Gleiche Rechte für alle, keine Diskriminierung von niemandem.●

  • Matthias Hui,

    *1962, ist Co-Redaktionsleiter der Neuen Wege, Theologe und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Menschenrechtsinstitution SMRI.