«Im Namen Gottes des Allmächtigen». Dass die Bundesverfassung derart hoch oben ansetzt, passt für Fabian Molina nicht mehr in die Zeit. Mit einer parlamentarischen Initiative will der SP-Nationalrat Gott aus der Verfassung streichen, weil sie selber ja Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert.
Der erwartete Widerstand kommt aus strenggläubigen und aus rechten Kreisen. Die Präambel habe symbolischen Charakter, mit welchem die Schweiz sich zu westlichen Werten und zur abendländischen Kultur bekenne, so FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt in seinem Credo für nationalistische Zivilreligion. Interessanter ist das zusätzliche Argument von Markus Somm (Tages-Anzeiger, 27.3.21). Die Anrufung Gottes habe auch subversiven Charakter: Wir setzen unser Recht selbst. Kein König, kein Niemand, nur Gott steht höher.
Widerstand «im Namen Gottes des Allmächtigen»! Darum ging es Karl Barth. Widerstand gegen die Naziherrschaft und gegen das helvetische Anpassertum. Der Basler Theologe machte also mit der Präambel nicht Religionspolitik. Es ging ihm ums Ganze. Am 6. Juli 1941 skizzierte er vor 2000 Menschen in der Kirchlichen Heimstätte Gwatt das Programm für eine andere Schweiz – im Namen des allmächtigen Gottes und der Bundesverfassung: Soziale Gerechtigkeit, um dem Faschismus den Boden zu entziehen. Die Integration der SP in den Bundesrat, weil eine Schweiz ohne Arbeiterklasse auseinanderfällt. Eine grosszügige Migrationspolitik gegenüber Gegner*innen und Opfern des Nationalsozialismus. Keine Wirtschaftspolitik, die mit (Rüstungs-)Exporten den Achsenmächten in die Hände spielt. Und schliesslich Wahrung der Presse- und Redefreiheit. Aber genau die Publikation seiner Rede, die sofort reissenden Absatz fand, wurde von den Behörden zensiert und in Polizeiaktionen beschlagnahmt.
Bevor die Präambel der Bundesverfassung Geschichte wird, wäre mit Karl Barths Geschichte zumindest nochmals an solche Möglichkeitsräume zu erinnern: die Anrufung Gottes als Begrenzung von angeblich göttlicher, aber vielmehr durch menschliche Gewaltverhältnisse entstandener Macht und als potenzieller Aufruf zum Aufstand gegen autoritäre Herrschaft.
Theologisch hat Gott als Allmächtiger nach dem 20. Jahrhundert aber abgewirtschaftet. Gott ist Chiffre für die Alternative zu Herrschaft, Gott wird im Leiden und in der Befreiung an der Seite der Armen und Ausgegrenzten gegenwärtig.
Wir leben nicht mehr 1291, 1848 oder 1941. Dass der Gott der Präambel als exklusiv christlicher in Anspruch genommen war, liesse sich zur Not heute uminterpretieren. Die erste Sure des Korans etwa ruft denselben an: «bismi Allahi», im Namen Gottes, des Barmherzigen dort immerhin, aber dann ebenfalls: «des Herrn der Welten». Die Präambel korrespondiert aber definitiv nicht mehr mit der säkularen Gesellschaft, in der wir (gerade in reformatorischer Perspektive) in Gottes Namen heute leben. Weshalb diese Frage aber ausgerechnet jetzt prioritär geklärt werden soll, wird mir allerdings nicht klar.
Klar ist: Das Verhältnis zwischen Religion, Gesellschaft und Staat ist dringend neu zu denken. Die parlamentarische Initiative von Fabian Molina, Cédric Wermuth und weiteren Mitunterzeichnenden von den Grünen, der GLP und der SP leistet zu dieser religionspolitischen Aufgabe allerdings kaum einen Beitrag. Wenn sie, so ihr Titel, «den Laizismus in der Bundesverfassung verankern» will, ohne Begriffe zu klären, droht sie die Errungenschaften der (linken) Debatte um die Verhüllungsinitiative gleich wieder über Bord zu werfen. Fabian Molina spricht von Religion als «sehr persönlichem Thema» (Lifechannel, 19.3.21). Weg mit der Religion aus der Öffentlichkeit – wie beim neuen Laizismusgesetz im Kanton Genf, das von linken, feministischen und muslimischen Kräften bekämpft wurde, weil es staatlichen Angestellten und auch Parlamentarier*innen während der Ausübung ihrer Funktion untersagt, ihre religiöse Zugehörigkeit äusserlich kundzutun? «Laizismus» beschreibt eben, ausser für einzelne Westschweizer Kantone, das vielschichtige Verhältnis zwischen Staat und Religion in der Schweiz gerade nicht. Laizismus herrscht in Frankreich, wo Religion heute auf teilweise rassistische Weise aus der Öffentlichkeit, etwa aus dem akademischen Diskurs («Islamogauchisme»), verbannt wird und sich darauf in gewissen muslimisch und katholisch geprägten Subkulturen umso heftiger und undemokratischer gebärdet. Ausgrenzung ist eben leider im Umgang mit Religion auch Teil der sogenannten «Moderne», der Fabian Molina mit seiner Initiative «Rechnung tragen» will.
Die liberalen und linken Parteien benötigen dringend eine aufgeklärte Religionspolitik, die strukturell Vielfalt anerkennt und politisch – neben der autoritären Gefahr – auch das befreiende Potenzial von Religion. Wenn diese Debatte geführt wird, kann die Präambel getrost entrümpelt werden. Wenn nur schnell die Verfassung «modernisiert» wird, könnten trübe Geister das religionspolitische Vakuum füllen.
In der Kolumne Nadelöhr setzt sich Matthias Hui mit gesellschaftspolitischen Zeichen der Zeit auseinander. Jesus soll gesagt haben, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe als ein Reicher in das Reich Gottes.
*1962, ist Co-Redaktionsleiter der Neuen Wege, Theologe und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Menschenrechtsinstitution SMRI.