Wenn ich auf Texte zurückschaue, die ich die letzten Jahre geschrieben habe, tauchen sie überall auf: die Achsen von «hier–dort», «wir–ihr», die Erzählungen vom «Dazwischen», von Zerrissenheit, von zeitgleichen Identitäten. Eigene und kollektive Wortschöpfungen entstanden: high-mate, heimaten, Da-zwischen-sein, ent-heimaten – weil wir nicht wussten, wie wir sonst über unsere Erfahrungen sprechen sollten: migrantisch, diasporisch, Second@, first generation, Other oder schweizerisch. Irgendwie nicht ganz abgrenzbar, irgendwie alles zugleich.
Immer mit der Frage konfrontiert: «A më mirë këtu, a atje?» – Ist’s besser hier oder dort?
Obschon eine diasporische, migrantische Erfahrung ebendieses Dazwischensein mit sich bringt, bekomme ich immer mehr das Gefühl, dass sich unsere Narrative seit den 2000er Jahren nicht wirklich bewegt haben. Zwar erzählen diese Bilder Aspekte migrantischer Lebensrealitäten vieler – auch von mir –, aber sie zementieren eine Logik, in der wir ewig im Transit sind. Nicht ganz angekommen, nie ganz zugehörig. Ich glaube: Wir brauchen neue Bilder. Neue Sprachformen, neue politische Fiktionen. Vielleicht brauchen wir auch neue Begriffe. Begriffe, die auf keiner Seite des Wörterbuchs stehen. Vielleicht etwas wie bayt-al-futur – ein Zuhause in der Zukunft. Oder wie shpirtvend – ein Ort für die Seele, jenseits von Boden, Pass und Staatsapparat.
Während wir noch unsere Differenz(en) ausbuchstabieren, erleben wir zugleich, wie sich alte Ausgrenzungsmechanismen in neuem Gewand präsentieren – in zeitgemässer Sprache, in stylischer Gestaltung, aber mit demselben Kern: Rassismus, Diskriminierung, Xenophobie, Ausschluss und Nationalismus.
Gerade deshalb müssen wir unsere eigenen Texte ernst nehmen. Nicht als Dokumentation von Zuständen, sondern als Interventionen. Als Strategien der Zugehörigkeit, als Werkzeuge für Zukunft. Keine Poetik des Wartesaals mehr. Keine Ästhetik der Schwebe. Ich will Worte, die Räume gewinnen. Texte, die nicht um Legitimität bitten, sondern sie voraussetzen. Wir sind nicht im Dazwischen – wir sind da.
Wir sind nicht integriert – und wir müssen es auch nicht sein. Denn Integration setzt voraus, dass es eine Norm gibt, in die wir hineinpassen sollen. Eine Mitte, eine Leitkultur, ein «So funktioniert das hier». Aber: So funktioniert das nicht mehr.
Postmigrantisch sein heisst nicht sich einfügen – sondern sich begegnen. Auf Augenhöhe, mit offenen Widersprüchen, gegen jegliche Hierarchisierung. Nicht wir sollen irgendwo ankommen – die Gesellschaft muss sich selbst neu zusammensetzen. Zusammen. Nicht homogen. Nicht harmonisiert. Sondern in Spannung, in Bewegung, in Veränderung.
Kollektive Beheimatung beginnt dort, wo wir unsere Geschichten nicht mehr erklären müssen. Wo wir nicht mehr anschlussfähig sein müssen. Wo wir politisch fordern dürfen, ohne unsere Dankbarkeit für Duldung voranzustellen. Sie beginnt dort, wo unsere Widersprüche nicht zum Beweis unserer Uneindeutigkeit werden, sondern zur Kraft kollektiver Realität.
INES – das Institut Neue Schweiz – ist einer dieser seltenen Räume. Kein Think & Act Tank, der auf Abstand geht, sondern ein Ort, der sich einmischt, der sich verortet – in Allianzen, in Spannungen, in offenen Fragen. Was kann eine «Neue Schweiz» sein, wenn wir sie gemeinsam schreiben? Nicht entlang der Logik der Integration – sondern aus der Bewegung der Transformation heraus.
Heimat muss nicht exklusiv sein. Sie kann ein kollektives Versprechen sein, das niemanden ausschliesst, sondern alle herausfordert. Sie ist nicht dort, wo alle gleich sind, sondern dort, wo niemand überlegen ist. Sie ist verletzlich, unfertig, offen. Und ja, sie hat auch mit Sehnsucht zu tun – aber nicht mit rückwärtsgewandter Nostalgie, sondern mit Zukunft. Mit einer neuen Art zu glauben: dass wir vielheimisch sein können, ohne uns zerteilen zu müssen.
Dass Zugehörigkeit nicht begrenzt, sondern geteilt werden kann. Dass wir mehr sind als das, was uns je zugestanden wurde. Darum schreiben wir. Darum organisieren wir. Darum fordern wir. Nicht um teilzuhaben – sondern um zu gestalten. Nicht um dabei zu sein – sondern ins Zentrum zu rücken. Wir sind keine Randnotiz. Wir sind d(ies)er Text.●