Wie fühlt sich das an: Vertrauen in eine Währung? Das ist am besten im Selbstversuch zu erfahren. Bitcoins lassen sich mittlerweile an jedem Billettautomaten der SBB wechseln. Man führt die vertraute, grüne 50-Franken-Note ein, tippt die Nummer des digitalen Bitcoin-Geldbeutels, und erhält – erst einmal nichts. Die Transaktion muss nämlich erst verbucht, in die Blockchain eingearbeitet werden, die im Hintergrund waltende digitale Erinnerung und Autorität der Währung. Ein paar Minuten später dann die Gutschrift. Auf meiner Bitcoin-App sehe ich: 0.0049 Bitcoin wurden meinem Geldbeutel hinzugefügt. Der direkte Vergleich zwischen dem knackig neuen Fünfziger, der in den Automaten gewandert ist, und der mickrigen Zahl auf dem Bildschirm fällt eindeutig aus: Die Franken fühlen sich nach mehr an.
Bitcoin hat keine Noten oder Münzen, wenige Annahmestellen, existiert nur als digitale Zahlenreihe. Trotzdem glauben Investoren und Anlegerinnen an den Bitcoin, vertrauen, kaufen die digitale Währung an. Dieser Glaube ruht – so meine These – auf über-empirischer Grundlage. Gerade so, wie wir es von traditionellen Währungen kennen. Auf Dollars und Franken finden sich Gottesbezüge, welche den Glauben an den Wert des Geldes mit dem religiösen Glauben verbinden.1 Während wir auf den Münzen und Scheinen die Verbindung zum Christentum finden, ist die metaphysische Entität, die den Bitcoin glaub- und vertrauenswürdig macht, eine andere: Das allwissende, omnipräsente Digitale.
Der Mechanismus, Glaube und Vertrauen in eine Währung durch eine Entität herzustellen, die über dem Menschlichen steht und nicht lebensweltlich begründet ist, hat Tradition – und entspringt einer Notwendigkeit. Wenn das Geld nicht mehr Stellvertreter eines Rohstoffwertes – wie zum Beispiel Gold – ist, sondern von einer Zentralbank «geschaffen » wird (daher der Begriff Fiat-Geld, von lat. fieri – gemacht werden), bemisst sich sein Wert abstrakt: Am Glauben an die repräsentierenden Volkswirtschaften; an der Sicherung dieser Wirtschaft und ihres Wertes durch die Politik. Dieser Glauben ist der primäre Rohstoff dieses Geldes. Die Nutzung des Geldes schafft eine Währungsgemeinschaft, vereint unter dem gemeinsamen Gebrauch des geglaubten Mediums. Jeder Nutzer, jede Nutzerin hat ein Interesse an diesem Glauben, schliesslich wird mit dem Geld möglich, was unter dem Begriff ‹Kontingenzbewältigung› gewöhnlich als Aufgabe von Religion beschrieben wird: Wahlmöglichkeiten schaffen in einer Situation der Unsicherheit, der Unkenntnis und der unendlichen Varianten. Der Glaube ist Grundlage für das Vertrauen in die Währung und damit ihr Funktionieren.
Die Aufgabe der Geld-Schöpfer ist es, diesen Glauben zu festigen und den an sich wertlosen Papierstreifen damit Wert einzuhauchen. Dafür gibt es verschiedene Strategien. Auf den Schweizer Banknoten finden wir die Unterschrift des Bankratspräsidenten und eines Direktoriumsmitglieds, sowie den Hinweis: «Banknoten sind strafrechtlich geschützt». Beim schweizerischen Notengeld wird das Vertrauen in die Währung durch Vertreter der Nationalbank und durch den Hinweis auf die Strafverfolgung hergestellt. Aber die Bürokratie scheint als Vertrauensstütze nicht ganz zu reichen: Auf der Fünf-Franken-Münze finden wir zudem den Bezug zum Göttlichen. Auf ihrem Rand prangt der Spruch Dominus Providebit – der Herr wird vorsorgen. Der Spruch aus Gen 22,8 appelliert an das allgemeine Gottvertrauen, im Kontext des Münzrandes wohl besonders das gottgestützte Vertrauen, mit dieser Münze tatsächlich etwas kaufen zu können.2 Auch abstraktere Formen der Bezahlung kommen nicht ohne den Glauben aus, wie der Begriff Kreditkarte (eben von lat. credere – glauben) nahelegt. Freilich glaubt hier eher der Kreditkartenherausgeber an die Konsumenten und Konsumentinnen und deren Zahlungsfähigkeit. Aber selbst wenn Einnahmen und Ausgaben nur noch als Zahlen auf Abrechnungen erscheinen, so verknüpft man diese mit dem realen Geld, an das man glaubt – der Zentralbank, dem Strafrecht und Gott sei Dank (wahrscheinlich in dieser Reihenfolge).
Für den Bitcoin stehen diese drei Vertrauensinstanzen nicht zur Verfügung: Staatliche Stellen fallen weg, und im digitalen Geldbeutel ist der Gottesbezug nirgends zu finden. Oder vielleicht doch? Er sieht nur anders aus. Es ist die digitale Infrastruktur, die beim Bitcoin den Rang der vertrauensstiftenden Entität einnimmt. Durch ihre Omnipräsenz und Allwissenheit bei gleichzeitiger Nicht-Greifbarkeit erlangt die digitale Infrastruktur metaphysische Qualität.3 Die Omnipräsenz liegt in der verbreiteten Nutzung und digitalen Durchdringung aller Lebensbereiche begründet. Fast jede hat ein Smartphone, mindestens aber einen Internetanschluss. Davon ausgehend besetzt das Digitale alle Bereiche des Lebens, vom Fitnessprogramm über die Partnersuche bis zur Arbeitsvermittlung werden die Infrastrukturen ununterbrochen, überall, von fast jedem genutzt. Zu dieser Allgegenwärtigkeit gesellt sich die Allwissenheit. Im Zuge der Nutzung werden nonstop persönliche Daten eingespeist, die in Verbindung mit der digitalen Sensorik (Ort, Umfeld) und Metadaten (Nutzungsdauer, Verläufe) Rückschlüsse und Vorhersagen zu individuellem Verhalten erlauben. Diese allwissende, omnipräsente digitale Infrastruktur erinnert an eine bekannte andere allwissende Entität. Im Psalter 139, 1-4, heisst es:
Herr, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weisst du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht schon wüsstest.
Bei der digitalen Allwissenheit ist es ganz ähnlich: Auch sie versteht unsere Gedanken, kennt unsere Wege, kann sogar Vorhersagen über uns treffen (wie jeder, der sich einmal dem YouTube-Algorithmus hingegeben hat, weiss). Beim christlichen Gott ist die Allwissenheit transzendent und geglaubt. Sie hat Einfluss auf die innerweltlich-menschliche Sphäre, ist dieser aber enthoben. Im Falle der digitalen Allwissenheit ist die allwissende Entität auf die Erde geholt, immanent und sogar materiell verortbar: Als Server in riesigen Rechenzentren, als Website, als Firma, als konkrete Information. Oder eben als Bitcoin.
Die Blockchain-Technologie ist die technische Essenz der digitalen Allwissenheit: Der Weg jedes Bitcoins ist vollständig nachvollziehbar. Jede digitale Münze trägt jede jemals mit ihr getätigte Transaktion in sich, kennt ihren eigenen Weg. Die Währung ist vollständig transparent, ihre Genese unlöschbar und jederzeit abrufbar, dabei unmittelbar aktuell. Die Blockchain gestattet einen kurzen Blick auf das Potenzial der digitalen Allwissenheit und wirkt damit als Katalysator für das Vertrauen in die Währung. Das Verständnis der technischen Hintergründe ist für dieses Vertrauen und den Glauben an den Bitcoin gar nicht mehr nötig. Die allwissende, aus so vielen Kontexten vertraute digitale Entität wirkt im Hintergrund. Eine kleine Portion schwingt auch mit, schliesslich weiss das Netz um die geheimen Leidenschaften und Interessen seiner NutzerInnen. Allzu genau will man also besser nicht hinschauen, wo sich der gerade erstandene Bitcoin schon überall herumgetrieben hat. Man weiss, dass der Bitcoin weiss. Das reicht.Durch die digitale Allwissenheit wird eine winzige, hochgradig abstrakte Zahl auf dem Bildschirm plötzlich zum realen Wert, zum Anlageobjekt, zum begehrten Zahlungsmittel. Dem Bitcoin wird geglaubt und vertraut, weil er auf einem allwissenden, omnipräsenten Netzwerk aufbaut. Keine Unterschrift eines bürokratischen Direktoriums, kein Hinweis auf Strafverfolgung ist nötig. Rete Providebit – das Netz wird vorsorgen – liesse sich in Anlehnung an die Prägung auf dem Münzrand für den Bitcoin dichten. Der Bitcoin ist metaphysisch gedeckt.
Wie weit diese digitale Allwissenheit als Vertrauensstifter trägt, muss sich noch zeigen. An Angriffen mangelt es nicht. Jeder Bericht über Bitcoin wird von einem aufgeregt warnenden Währungshüter begleitet, der vor dem Verlust aller Investments, fehlender Schutzmechanismen, Absenz von Regulierung warnt. Welche Unsummen durch die Spekulation mit gängigen Währungen und deren Schutzmechanismen verschlungen werden (denken wir an den Euro-Rettungsschirm oder die Euro-Käufe durch die SNB), bleibt dabei freilich unerwähnt. Was den Vertretern und Vertreterinnen der alten Währungen nicht gefällt, ist die dezentrale, schwer greifbare Natur des Bitcoin – die metaphysische Grundierung, in der sich der anarchische Ursprungsgedanke des Internet widerspiegelt. Keine EZB, keine SNB, die einzige Macht im Hintergrund ist das allwissende, omnipräsente Digitale, realisiert durch eine anonyme und dezentrale Gemeinschaft gleichberechtigter Peers, welche die Währung auf Augenhöhe nutzen.
Bitcoin baut auf bekannte Strukturen des Glaubens und Vertrauens in Währungen auf und aktualisiert sie. Die metaphysische Stärkung der Währung durch das Digitale funktioniert. Mit allen Vor- und Nachteilen. Denn so wie der Glaube Berge versetzt, kann er eine Währung auch auf Talfahrt schicken. Die geglaubte Dimension der Währung ermöglicht die interessengeleitete Beeinflussung: Propheten und Kritikerinnen nehmen gleichermassen Einfluss auf die Wertentwicklung. Eine Religionskritik des Geldes, die eine gewisse skeptische Distanz gegenüber dem vorbehaltlosen Glauben etabliert – denken wir auch an Themen wie den Datenschutz oder die Geldwäsche – wäre der nächste Schritt auf dem Weg zu einer etablierten Währung. Bis dahin heisst es, wie schon in so vielen anderen Lebensbereichen auch: In Bits we trust.
Gerade die Lebensbereiche, die der Religion fern und besonders «säkular» erscheinen, sind ja häufig Fundgruben des Religiösen. Denken wir an die Wirtschaft, den Fussball oder die Politik. Die religiösen Verstrickungen der letzteren zeigen sich prominent in Forschungen wie jenen zum religiösen Sozialismus. Vgl. zu diesen Fragen grundlegend und im thematischen Einklang mit seinem Ahnen: Stefan Ragaz: Reading Scientific Atheism Against the Grain. The Soviet Study of Religion as a Methodological Challenge. Method and Theory in the Study of Religion. Rochester 2017.
Vgl. zu diesem Mechanismus Paul Kellermann: Moneyismus – Der Glaube an Geld als Alltagsreligion. In: Ders. (Hrsg.): Die Geldgesellschaft und ihr Glaube. Wiesbaden 2007, S. 115–126.
Vgl. für eine ausführliche Bearbeitung dieser These: Peter Seele; Christoph Lucas Zapf: Die Rückseite der Cloud. Eine Theorie des Privaten ohne Geheimnis. Heidelberg 2017.
*1984, ist Religionswissenschaftler und Ökonom. In seiner Forschung befasst er sich mit den Facetten der Marktwirtschaft, die unser Wirtschaftssystem zur umfassenden Kultur machen. Er lebt in Basel.