Big Zis, deine Musik als Rapperin lebt vom Moment der Aufführung, vom Konzert. Jetzt sitzen wir für unser Gespräch hier an einem Tisch in einem nüchternen Büro. Kann man über Musik überhaupt reden?
BZ Ja, klar, man versucht es. Es ist ähnlich, wie über Gefühle zu reden: Es bleibt eine Annäherung. Musik an sich ist Kommunikation, und wenn man über Musik redet, ist es Metakommunikation. Man weiss nie genau, wie das Gegenüber empfindet und ob man das eigene Empfinden gut beschreibt.
Für dich als Kulturjournalistin, Alice, ist das Sprechen über Musik die tägliche Arbeit. Als Kritikerin bist du auf der Suche nach gutem Pop. Was macht guten Pop aus?
AG Das ist eine grosse Frage, die man ganz unterschiedlich beantworten kann. Beispielsweise gibt es Musik, die extrem gut produziert, aber trotzdem – oder gerade deswegen – langweilig ist. Pop als Handwerk ist oft eine Übersetzung vom Spezifischen ins Allgemeine und wieder zurück, sodass ich als Hörerin das Gefühl haben kann, es gehe genau um mich. Wenn jemand diese Übersetzungsarbeit gut beherrscht, also zum Beispiel das Storytelling, das Erzählen einer Geschichte, sehr detailreich oder versiert ist, dann ist das toll. Manchmal berührt mich aber auch ein Stück, ohne dass ich genau sagen könnte, warum. Oft sind simple Sachen gut. Manches funktioniert auf der Platte nicht, aber live schon. Mir als Hörerin ist immer wichtig, dass ich eine gewisse Dringlichkeit spüre: Das musste jetzt sein. Jemand musste diese Musik einfach machen und sich mit einem Thema auseinandersetzen.
Wir würden gerne ein wenig in eure Biografien schauen: Was waren eure ersten Berührungspunkte mit Pop?
BZ In meiner Jugend habe ich ganz verschiedene Musikstile gehört, aber natürlich beispielsweise auch die Popmusik von Madonna – ich habe ihren Stil sogar imitiert und versucht, ihren Schmuck nachzubasteln, die Kreuze, die Neonfarben. In meinem Zimmer hingen der Schauspieler Michael J. Fox und Madonna nebeneinander, und ich habe mit beiden geübt zu küssen. Aber wir müssen jetzt einmal klären, worüber wir eigentlich sprechen: Ist mit Pop die ganze Popkultur – der Musiksender MTV, die Zeitschrift Bravo und so weiter – gemeint oder einfach Popmusik? Und was ist Popmusik eigentlich?
AG Die Bravo ist ein gutes Stichwort! Ich habe Jahrgang 1993, die Musik der nuller Jahre hat mich also geprägt. Bis heute höre ich, wenn es mir schlecht geht, die Sugababes. Das ist einfach richtig guter Pop.
BZ Ich bin völlig einverstanden. Da spürt man maximal, dass die Sounds aus Grossbritannien kommen, sie sind edgy, nicht so geschliffen, überraschend. Und das ist mein Problem mit Pop: Er wird dann gut, wenn er sich bei den Subkulturen bedient. Pop ist aber gleichzeitig immer «die Welle reiten». Es muss interessant und doch für möglichst viele zugänglich sein.
AG Vermutlich ist das keine orthodoxe Meinung, aber ich verstehe den Begriff Pop breiter. Meine Punkphase mit fünfzehn würde ich beispielsweise auch zu meiner Popbiografie dazuzählen.
BZ Nein, Punk ist auf keinen Fall Pop!
Wie würdest du denn unterscheiden? Hier subversive, vielleicht kritische, Subkultur in der Nische – dort die breit zugängliche Popmusik, die sich bei der Nische beliebig bedient?
BZ Ja, genau. Allerdings kann eine subversive Punkband durchaus in die popkulturelle Industriemaschinerie hineinrutschen oder sich bei ihr anbiedern. Gefässe wie der Musiksender MTV haben das befördert: Ein Publikum wird auch erzogen und passt sich an. Aber mir ist die Unterscheidung zwischen Subkultur und «Obenauf-Schwimmen» wichtig.
Jetzt liegt mir natürlich auf der Zunge, danach zu fragen, wo du dich als Musikerin verortest.
BZ Diese Verortung mache nicht ich, das müssen andere machen (lacht). Nein, ich habe mich an vielen Orten bewegt. Es gab schon Zeiten, in denen es ein breites öffentliches Interesse daran gab, was ich gerade machte. Finanziell war ich sicherlich nie im Bereich der Popkultur. Musikalisch vielleicht schon.
AG Im Hip-Hop gibt es den Begriff des «Sell-out»: Man verliert durch den Verkaufserfolg an Wert und Glaubwürdigkeit …
BZ Das war mal so. Inzwischen ist Geld der Massstab für Erfolg. Und da sind natürlich die kapitalistisch orientierte Popkultur und ihre Konsumlogik schuld daran.
Zusätzlich zu den Kategorien Sub- und Popkultur gibt es noch eine dritte Kategorie, die der etablierten, klassischen Kunst, nicht? Wie seid ihr in euren Biografien mit dieser in Berührung gekommen?
BZ Also Wagner-Opern gabs in meiner Kindheit und Jugend nicht. Aber später habe ich regelmässig DRS 2 gehört, hauptsächlich wegen der Infosendungen. Bei den Musiksendungen konnte ich viel lernen.
AG Mein Elternhaus ist eher intellektuell, bei uns lief DRS 2, auch eher wegen der Infosendungen. Pop und generell Musik interessiert meine Eltern nicht so wahnsinnig.
BZ Was haben deine Eltern gehört, als sie jung waren?
AG Die Rolling Stones, The Clash, The Police beispielsweise und später Sängerinnen wie Ani DiFranco oder Tracy Chapman. Die Beatles waren ihnen zu poppig, davon haben sie sich abgegrenzt. Solche Abgrenzungsdiskussionen führen wir heute viel weniger. Die Grenzen sind durchlässiger.
BZ Mit Ausnahmen: Taylor Swift kommt beispielsweise aus der Country Music und macht heute Pop. Das hat Hörer*innen aus der Countryszene vor den Kopf gestossen. Da gibt es schon klare Grenzen.
Taylor Swift ist ein gutes Beispiel für die Frage nach der Politik. Die Countryszene ist traditionell eher rechtskonservativ geprägt. Swift wurde aber bei den US-Wahlen ein grosser Einfluss zugeschrieben, und sie hat sich in letzter Minute gegen Trump ausgesprochen.
AG Das zeigt in erster Linie, wie desolat die politische Situation ist. Swifts Musik ist eigentlich überhaupt nicht politisch und schon gar nicht subversiv. Eine solche Wahlempfehlung als «politischen Akt» zu framen, ist lächerlich.
Kann Pop denn politisch wirksam sein?
BZ Popmusik ist allerhöchstens im Bereich von Identitätspolitik wirksam. Weil Pop so sehr von kapitalistischer Verwertbarkeit lebt, ist sein kritisches Potenzial gering. Klassenkampf mit Pop – das geht nicht.
Was meinst du, wenn du von Identitätspolitik sprichst?
BZ Die queere Bewegung hat beispielsweise grossen Einfluss auf die Popmusik. Und das strahlt auch wieder zurück in die Gesellschaft: Popmusik kann einstehen für Aufgeschlossenheit gegenüber LGBTIQ+, sie kann Sichtbarkeit und Empowerment von queeren Menschen oder People of Color schaffen. Aber tiefer kann die Gesellschaftskritik nicht gehen, weil Pop immer auf Popularität, auf Gefälligkeit bei einer grossen Masse und auf das grosse Geld abzielt.
AG Damit bin ich nicht einverstanden. Ich glaube nicht, dass Pop unbedingt viele Menschen erreichen muss, um als Pop verstanden zu werden. Und auch nicht, dass Pop per se auf das grosse Geld abzielt. Ich bin überzeugt, dass Pop Möglichkeiten ausloten oder Dinge ausprobieren kann, die sonst nicht denkbar wären. Als Künstler*in kann man ganze Welten erschaffen, Identitäten ausprobieren, Denkräume öffnen. Da hat Pop auf jeden Fall utopisches Potenzial – wenn ich an Künstlerinnen denke wie Peaches, FKA Twigs oder Lady Gaga …
BZ … aber ist die kanadische Electroclash-Künstlerin und Musikproduzentin Peaches denn wirklich Pop? Sie kommt doch aus einer subversiven Ecke. Klar, sie hat eine grosse Fangemeinschaft und kann wohl gut von ihrer Kunst leben. Aber «Pop» ist sie für mich nicht. Eine Frau mit Achselhaaren, die über selbstbestimmte Sexualität singt, ist doch nicht Mainstream!
AG Ich fasse Pop wirklich breiter. Pop als Genrebezeichnung muss nicht unbedingt meinen, dass diese Musik populär ist. Für mich war es befreiend, als ich bei der WOZ angefangen habe, über Pop zu schreiben, und gemerkt habe, wie breit dort der Begriff verstanden wird. Das lässt Verbindungen und Bezüge zu, die ich sonst nicht gemacht hätte.
BZ Du meinst, ich sollte das auch lernen (lacht)? Vielleicht fasse ich den Begriff zu eng und pflege mein Gärtchen …?
Das hängt vielleicht auch mit deiner Verortung als Musikerin zusammen? Du gehst mit einem kritischen Anspruch an deine eigene Musik heran und hast dir deinen Platz als Frau im Hip-Hop erkämpft. In diesem Feld hat niemand auf dich gewartet.
BZ Ja, und von den Popkünstler*innen, denen ich in der Schweiz begegnet bin, trennen mich Welten!
AG Klar, es gibt Beispiele von Popmusiker*innen, die mal einen spannenden Track herausgebracht haben, und dann freut man sich auf das Album – und dann ist es zum Beispiel voll mit Tracks, die offensichtlich so gemacht sind, dass sie gute Chancen haben, einen Platz in irgendeiner Playlist auf der Streaming-Plattform Spotify zu bekommen.
BZ Genau, das ist «Malen nach Zahlen» (alle lachen)! In den letzten zwanzig Jahren ist eine grosse Veränderung passiert. Solche Musik zielt auch auf die Verwertbarkeit auf Social Media ab. Vor zwanzig Jahren durfte der Drop, also ein Wechsel im Rhythmus, im Verlauf eines Stücks erst viel später kommen. Heute muss das schnell gehen. Diese Veränderung kann man beziffern.
AG Gleichzeitig will ich einzelne Musiker*innen auch nicht verurteilen. Auf ihnen lastet ein grosser Druck vom Markt und auch von den Labels, die ihre Musik vertreiben.
Nehmen wir die Frage nach der politischen Bewegkraft nochmals auf. Wo macht ihr die aus?
BZ Für mich sind jene Beispiele am bewegendsten, die leise, widersprüchlich und komplex daherkommen. Sie schleichen sich auf der einen Seite des Herzens ein, bleiben dann in dir und wirken über Jahre. Wenn platte Parolen geschwungen werden, finde ich das weniger interessant.
AG Ja, es geht um die kleinen Verschiebungen und Denkanstösse. Grundsätzlich ist für mich Musik etwas unglaublich Hoffnungsvolles – im Moment ist Kunst auf jeden Fall etwas, das am Leben erhält. Vielleicht hält sie eher über Wasser, als dass sie zur Revolution antreibt. Aber das ist ja auch was.
BZ Bei mir taucht da eine Frage auf: Könnt ihr die Musik von der Künstler*in trennen? Diese Ikonografie ist doch ein Spezifikum der Popmusik, nicht?
Bach ist eine ziemliche Ikone, je nachdem, wen man fragt …
BZ Stimmt, diese Barockmusiker waren zu ihrer Zeit wohl Pop! Aber bei Popmusik spielen eben die Äusserungen von Musiker*innen, ihr Erscheinungsbild, ihr öffentlicher Auftritt insgesamt, in das Musikerlebnis mit hinein.
Welche Rolle spielt das «Drumherum» für dich, Alice? Wie gehst du damit um beim Schreiben über Pop?
AG Das ist auf jeden Fall sehr wichtig. Ich glaube nicht, dass sich das voneinander trennen lässt. Gerade das «Fansein» von einer Person basiert sehr stark auf einer Vorstellung, die man sich von der bejubelten Person macht. Social Media und Algorithmen steuern diese Vorstellungen von Personen und auch die Hörgewohnheiten.
BZ Ich glaube, dass Menschen Wiederholung mögen. Früher hörte man bei der Arbeit Radio, und da lief dann ein Song fünfmal am Tag. Beim ersten Mal fand man ihn noch so naja, und beim fünften Mal singt man begeistert mit. Hörgewohnheiten werden gebildet, und Pop bedient diese Vorliebe für Wiederholung extrem.
AG Und durch Social Media wird Wiederholung natürlich engmaschiger und zugespitzter.
Wie ist denn bei dir, Big Zis, das Verhältnis von Musik und Person, von öffentlichem Auftritt und Privatperson?
BZ Mit fast fünfzig Jahren denke ich heute darüber anders nach als früher. Klar ist die Trennung zwischen Privatperson Franziska und Persona Big Zis nicht trennscharf. Aber ich bin als Musikerin auf jeden Fall in einer Rolle und wähle aus, was ich zeige. Von aussen wird permanent die Verknüpfung von mir als privater und als öffentlicher Person gesucht – was nicht übereinstimmt, wird sanktioniert. Es gibt ein starkes Bedürfnis nach Authentizität. Im Rap ging es von Anfang an darum. Im Rap wurde das «echte Leben» auf der Strasse abgebildet – es ging ums «Realsein», ums Echtsein.
AG Mir scheint, es gibt aktuell vor allem zwei Strategien für Künstler*innen, mit diesem Thema umzugehen. Entweder schafft man sich ein totales Alien, bei dem allen klar ist, dass es eine Kunstfigur ist. Oder man performt die Authentizität bis ins Extremste. Social Media zielen auf diese Illusion der Nähe, also auf die Herstellung von parasozialen Beziehungen, ab: Persönliche Storys bauen auf Authentizität auf. Wenn diese Authentizität dann irgendwo bricht, dreht das Publikum durch. Dabei ist eigentlich klar, dass auch Musikmachen mit einer professionellen Rolle einhergeht.
Woraus schöpfst du beim Machen von Musik, Big Zis?
BZ Nur aus mir! Die Welt gibt es nicht – ich bin wie eine Schöpfergöttin (lacht). Nein, ich schöpfe aus allem, dem ganzen Leben, aus allem, was mich umgibt. Und hoffentlich auch aus dem, was mich nicht oder noch nicht umgibt – dem Utopischen.
Wie prägt dich Popmusik dabei? Du verwendest ja immer wieder Zitate aus Popsongs.
BZ Ich klaue und zitiere ständig. Das ist mir nicht peinlich. Prince oder David Bowie haben mich sehr geprägt. Zwei Lieder von mir sind Hommagen an David Bowie. Das wird vermutlich nie jemand erkennen – diesen hochgestochenen, akademischen Musikjournalismus, der solche Dinge analysieren würde, gibt es ja heute kaum mehr. Die meist männlichen Journalisten schrieben aber hauptsächlich über Männer und Männerbands, und ich habe damals schon gedacht: Bei mir gäbe es auch Dinge zu entdecken.
AG Es ist zwar gut, dass sich Musikjournalismus entwickelt und verändert hat, aber so gebündelt wie in einer Zeitschrift Spex gibt es keinen Musikjournalismus mehr. Ich würde mir wünschen, es gäbe heute noch mindestens drei gute Musikzeitschriften, die eine Mischung aus bodenständigem und intellektuellem Musikjournalismus bieten. Das müsste nicht so männergeprägt sein wie früher. Die amerikanische Musikjournalistin Amanda Petrusich hat kürzlich in einem Interview gesagt, dass die zunehmende Präsenz von Frauen und marginalisierten Personen im Musikjournalismus ziemlich genau gleichzeitig passierte wie der Bedeutungsverlust dieses Genres. Als Frauen begannen, Einzug in den Musikjournalismus zu nehmen, konnte man sich damit nicht mehr den Lebensunterhalt verdienen.
Das bringt uns zur Frage nach gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Wie geht ihr in eurer Schreib- und Musikpraxis mit den aktuellen Krisen und auch dem zunehmenden Faschismus um?
AG Seit ich schreibe, zweifle ich auch an meinem Schreiben und am Sinn daran. In der letzten Zeit habe ich aber verstärkt das Gefühl, dass mein Schreiben wichtig ist. Für mich ist es eine Art, mich mit der Welt zu befassen, sie zu verstehen. Es geht mir verstärkt darum, Räume offenzuhalten, dranzubleiben und sich nicht verhärten zu lassen. Der Logik, dass alles, was nicht überlebenswichtig ist, weg kann, dürfen wir uns nicht beugen.
Um was für Räume geht es dir?
AG Ich meine Räume, in denen Ideen diskutiert und kritisiert werden können – Ideen, die in der herrschenden, erdrückend starken Kriegslogik wenig Präsenz und Kraft haben. Solche Räume offen zu halten, lässt Vernetzung mit anderen zu: Ich bin nicht die Einzige, die über eine bestimmte Frage, eine bestimmte Idee nachdenkt.
BZ Über Musik zu schreiben, heisst ja auch, auszuwählen, worüber man schreibt. Das hat immer eine politische Dimension: Es geht darum, marginalisierte Positionen sichtbar zu machen. Rauszugehen und Menschen zu treffen, ist ein wichtiges Moment, das immer mehr wegbricht.
Und wie gehst du, Big Zis, mit den vielen globalen Krisen um?
BZ Jeden Morgen aufstehen! Klar, wenn man hier in Zürich lebt, weiss ist, einen Pass hat, dann betreffen einen diese Krisen noch nicht so akut. Aber das Bewusstsein dafür wachzuhalten und auszuhalten, finde ich wichtig und schwierig zugleich. Ich habe drei Kinder und finde die Zukunft ziemlich bedrohlich. Wir sind in der Schweiz für viele dieser neofaschistischen Entwicklungen der Blueprint, also wie eine Schablone: Unsere Geschichte der Normalisierung von rechten, menschenfeindlichen Positionen wird oft verharmlost. Das finde ich gefährlich. Aber ich bin oft hilflos: Was kann ich schon machen?! Ich kann politische Lieder schreiben, Leute zusammenbringen und die Leute zum Tanzen bringen. Wie letztes Jahr beim Festival hope.fight.love – 150 Jahre Clara Ragaz der Neuen Wege.
AG Manchmal bin ich nicht sicher, wie verbindend Musik wirklich ist. Es sind oft bestimmte Szenen, die zusammenkommen.
BZ Da hatte das Festival der Neuen Wege als Format den Vorteil, dass vor dem Konzert inhaltlich gearbeitet wurde. Das Publikum machte einen Prozess miteinander. Die Musik steht dann in Verbindung mit erarbeiteten Inhalten.
Gerade bei solchen Konzerten liesse sich Pop auch als religiöses Phänomen lesen. Über Ikonenverehrung haben wir ja schon gesprochen. Wie seht ihr das Verhältnis «Pop und Religion»?
AG In meinem Freundeskreis sagen wir manchmal, wenn wir am Sonntag ein Konzert besuchen, «wir gehen in die Kirche». Es sind ja immer die gleichen fünfzig Leute, die man antrifft, und die Stimmung hat etwas Andächtiges, Gemeinschaftliches. Ich habe eine Affinität zum Sakralen. Da rührt mich etwas an. Manche Musik hat mich durch meine Biografie begleitet – ich finde darin Trost und Hoffnung. Das ist auch eine Art von Seelsorge.
BZ Ich kann mit Religion nicht viel anfangen. Wenn Menschen für sich persönlich religiös sind, ist das ihre Sache. Doch die grossen Religionen sind verantwortlich für so viel Leid. Aber: Auf der Bühne zu stehen, fühlt sich manchmal an wie zu predigen. Während Corona habe ich das Ekstatische und auch das «preachy» Gefühl an Konzerten total vermisst. Was an Metaphysik an einem Konzert passieren kann, …
AG … ist auf jeden Fall magic!●
*1976 als Franziska Schläpfer, prägt seit fast 30 Jahren die Schweizer Rapszene. Ihre tanzbare Rebellion gegen längst überholte gesellschaftliche Normen und die patriarchale Ordnung kannst du dir auf ihrem letzten Album «B:I:G» (2024) anhören.
*1993, schreibt als Kulturjournalistin über Pop und Gesellschaft. In der restlichen Zeit geht sie auf Konzerte und veranstaltet ab und zu auch selber welche. Sie lebt in Bern.