Krieg ist verboten. Menschenrechte gelten überall. Koloniale Herrschaft ist vorbei. – Der brutale russische Angriff auf die Ukraine verhöhnt diese «zivilisatorischen Errungenschaften» und inszeniert imperiale Machtansprüche. Die Erfahrungen des Jahres 2022 sind der Ausgangspunkt für die Doppelnummer 1/2.23 der Zeitschrift Neue Wege.
Bis heute sind wir imperialer Zivilisation, die in der Bibel Babel oder Babylon heisst, verhaftet, so die New Yorker Theologin Brigitte Kahl. Die Bibel erzählt von einem Gott, der anders ist als die Götzen der imperialen Grossreiche. Sie beschreibt Fluchtbewegungen fort von den Zivilisationen, die auf Gewalt gegründet sind. Und sie hält den Weg der Umkehr offen, den Sprung der Weltgeschichte über Babel hinaus, die grosse Transformation.
Der Psychoanalytiker Berthold Rothschild glaubt an aufgeklärten Fortschritt, obwohl «die evidenten moralischen und ökonomischen Schwächen des kapitalistischen Systems Sehnsüchte nach autoritären Herrschaftssystemen wecken». Der Ukrainekrieg droht die sozialökologische Transformation zu blockieren. Cornelia Hildebrandt von der Rosa Luxemburg Stiftung möchte deshalb Räume des gemeinsamen Nachdenkens öffnen. Dort findet sich auch ein Kollektiv lateinamerikanischer Sozialwissenschaftler*innen und Aktivist*innen aus sozialen Bewegungen ein, das – in deutscher Erstveröffentlichung – einen «ökosozialen und interkulturellen Pakt des Südens» zur Debatte stellt. Wie dieser Pakt lehnt auch der Politikwissenschaftler Ulrich Brand Pseudolösungen eines grünen Kapitalismus ab, der weiter von der grenzenlosen Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen ausgeht. Erst jenseits der imperialen Zivilisation, jenseits von Babel, scheint die Möglichkeit des Unmöglichen auf – gutes Leben für alle Menschen und für die Erde.
Aufnahmen von in Laos aus Bombenabfällen hergestellten Alltagsgegenständen des Berner Fotografen Marco Frauchiger erinnern an die imperiale Geschichte der USA: Im Vietnamkrieg wurde keine Rücksicht auf Menschenrechte und Menschenleben genommen.
Ein ganz nahes Bild von auf Gewalt gegründeter Zivilisation zeichnet die Literaturwissenschaftlerin Christa Baumberger in ihrem Porträt der 2022 verstorbenen Schweizer Autorin Mariella Mehr.
Inhalt
Bibel und Babel
Brigitte Kahl
Der Ukrainekrieg als Zäsur
Neue Wege-Gespräch mit Cornelia Hildebrandt
Déjà-vu: Babel, Imperium und Krieg
Auszüge aus früheren Ausgaben der Neuen Wege
Eine gerechte ökosoziale Transformation
Maristella Svampa, Alberto Acosta, Enrique Viale, Breno Bringel, Miriam Lang, Raphael Hoetmer, Carmen Aliaga und Liliana Buitrago
Grenzenloser Kapitalismus und planetare Grenzen
Ulrich Brand
«Kritische Vernunft setzt sich meist durch»
Gespräch mit Berthold Rothschild
Schreiben … schreien. Mariella Mehr
Christa Baumberger
Anstoss! Aus der Starre ins Handeln kommen
Andreas Hugentobler
Gefühlsduselei: «geknechtete hüpfen gazellenleicht über viertausender»
Geneva Moser
Lesen: Wir haben den längeren Atem!
Jakob Frühmann
Nadelöhr: Zuschlagen im Krieg
Matthias Hui
Bestellung (Einzelheft, 48 Seiten, CHF 10.-):
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