Theologisch hat Gott als Allmächtiger nach dem 20. Jahrhundert aber abgewirtschaftet. Gott ist Chiffre für die Alternative zu Herrschaft, Gott wird im Leiden und in der Befreiung an der Seite der Armen und Ausgegrenzten gegenwärtig.
Wir leben nicht mehr 1291, 1848 oder 1941. Dass der Gott der Präambel als exklusiv christlicher in Anspruch genommen war, liesse sich zur Not heute uminterpretieren. Die erste Sure des Korans etwa ruft denselben an: «bismi Allahi», im Namen Gottes, des Barmherzigen dort immerhin, aber dann ebenfalls: «des Herrn der Welten». Die Präambel korrespondiert aber definitiv nicht mehr mit der säkularen Gesellschaft, in der wir (gerade in reformatorischer Perspektive) in Gottes Namen heute leben. Weshalb diese Frage aber ausgerechnet jetzt prioritär geklärt werden soll, wird mir allerdings nicht klar.
Klar ist: Das Verhältnis zwischen Religion, Gesellschaft und Staat ist dringend neu zu denken. Die parlamentarische Initiative von Fabian Molina, Cédric Wermuth und weiteren Mitunterzeichnenden von den Grünen, der GLP und der SP leistet zu dieser religionspolitischen Aufgabe allerdings kaum einen Beitrag. Wenn sie, so ihr Titel, «den Laizismus in der Bundesverfassung verankern» will, ohne Begriffe zu klären, droht sie die Errungenschaften der (linken) Debatte um die Verhüllungsinitiative gleich wieder über Bord zu werfen. Fabian Molina spricht von Religion als «sehr persönlichem Thema» (Lifechannel, 19.3.21). Weg mit der Religion aus der Öffentlichkeit – wie beim neuen Laizismusgesetz im Kanton Genf, das von linken, feministischen und muslimischen Kräften bekämpft wurde, weil es staatlichen Angestellten und auch Parlamentarier*innen während der Ausübung ihrer Funktion untersagt, ihre religiöse Zugehörigkeit äusserlich kundzutun? «Laizismus» beschreibt eben, ausser für einzelne Westschweizer Kantone, das vielschichtige Verhältnis zwischen Staat und Religion in der Schweiz gerade nicht. Laizismus herrscht in Frankreich, wo Religion heute auf teilweise rassistische Weise aus der Öffentlichkeit, etwa aus dem akademischen Diskurs («Islamogauchisme»), verbannt wird und sich darauf in gewissen muslimisch und katholisch geprägten Subkulturen umso heftiger und undemokratischer gebärdet. Ausgrenzung ist eben leider im Umgang mit Religion auch Teil der sogenannten «Moderne», der Fabian Molina mit seiner Initiative «Rechnung tragen» will.
Die liberalen und linken Parteien benötigen dringend eine aufgeklärte Religionspolitik, die strukturell Vielfalt anerkennt und politisch – neben der autoritären Gefahr – auch das befreiende Potenzial von Religion. Wenn diese Debatte geführt wird, kann die Präambel getrost entrümpelt werden. Wenn nur schnell die Verfassung «modernisiert» wird, könnten trübe Geister das religionspolitische Vakuum füllen.