Selten hat der Titel eines Magazins so perfekt meine aktuelle Lebenssituation in Worte gefasst: Neue Wege. Nach meiner Nichtwiederwahl in den Schweizer Nationalrat im Herbst 2023, die mich nicht an eine Weggabelung, sondern schlicht vor einen Fluss katapultiert hat, über den die eingezeichnete Brücke weggeschwemmt wurde, bin ich nun dabei, neue Wege zu beschreiten. Was auf den ersten Blick beschwerlich und niederschmetternd erschien, entpuppte sich als Chance, meine kommende Zeit mit einem neuen Blick zu betrachten, der mir in der Rush-Hour-Zeit mit Nationalratsmandat und Nebenjob tatsächlich abhandengekommen war. Mit einem ruhigen, liebevollen Blick auf die Menschen um mich herum.
Klar, Wahlkampf ist anstrengend, und insbesondere nach einer Nichtwiederwahl könnte beim Blick zurück auf die letzten Wochen und Monate mit der Enttäuschung auch ein bitteres Gefühl der fehlinvestierten Zeit oder der Erschöpfung mitschwingen. Täglich ist man herumgereist, hat mit Brötchen, Bonbons und Botschaften überzeugt und Gespräche geführt, bis Stimme und Syntax schwächer wurden und man sich selbst kaum noch hören konnte. Doch in der Tat war diese Zeit für mich eine der inspirierendsten und gewinnbringendsten der letzten Jahre.
Ich habe mir als Politikerin vorgenommen, möglichst nahe an den Menschen zu politisieren, und daher die Chance genutzt, parallel zur politischen Arbeit in den unterschiedlichsten Branchen zu arbeiten. Durch diese Arbeit in der Gastronomie, im Obstbau, aber auch als Freiwillige auf Höfen kam ich mit Menschen mit verschiedensten Hintergründen in Kontakt. Dies machte ich auch zum Prinzip meines Wahlkampfes, indem ich mich voll auf die Begegnungen auf der Strasse konzentrierte. In der persönlichen Begegnung sind die Menschen freundlich, respektvoll und in ihrer Kritik konstruktiv – ganz im Gegensatz zu dem, was ich online erfahre. Während online von gewissen Kreisen meine Abwahl bereits gefeiert wurde, wobei sich der Hass fast ausschliesslich auf mein Äusseres bezog, erhielt ich im dire kten Kontakt fast nur bestärkende und ermutigende Worte. Mein Slogan war «Für Brücken statt Blockaden». Dies war auch als Nationalrätin meine Maxime, von der ich mir wünschte, sie würde zum allgemeinen Grundsatz. In der Tat ist eines der Hauptprobleme in aktuellen politischen Diskursen meines Erachtens eine Gesprächsklimakrise: ein Unwille zur gegenseitigen Verständigung und kein Funken hermeneutisches Wohlwollen, keine Bereitschaft, in dem, was das Gegenüber ausdrückt, das Beste herauszuhören. Statt Gräben zu überwinden, werden diese vertieft, um die gegnerische Position zu schwächen und dabei die eigene Klientel zu mobilisieren. Es muss uns wieder um echte Lösungserarbeitung gehen statt nur darum, Problematisierung zu bewirken und Aufmerksamkeit zu erheischen. Mit dem Ziel, Brücken zu bauen statt an Blockaden beteiligt zu sein, beschreite ich nun auch meinen neuen Weg.
Direkt nach der Nichtwiederwahl war es für mich in einem ersten Schritt enorm wertvoll, direkt bei Betrieben und Höfen anzuklopfen, ob jemand Hilfe brauchen kann – viele waren froh. Gleichzeitig habe ich neue Stellen in meinem Kompetenzbereich Agrarpolitik gesucht und mich beworben. Zu guter Letzt kam ein Verlag auf mich zu, und ich schreibe nun an einem Buch. Was aber emotional überwältigend war: die Menschen. Es haben sich Menschen aus allen Ecken der Schweiz gemeldet und mich unterstützt, und ich fiel nicht in ein Loch, sondern in ein weiches Netz aus Freunden, Bekannten und unbekannten Landwirt*innen, die mich auf Höfe einluden für längere Auszeiten, einfach weil sie meine Art zu politisieren schätzten. Diese Erfahrung, in einer solchen Lebenssituation aufgefangen zu werden, hat mich tief berührt und darin bestärkt, dass mein bisheriger Weg bei den Menschen Spuren hinterlassen hat. Und dass dieser Weg, wenngleich er nun eine ungeplante Wendung nimmt, mit dem gleichen Ziel und Engagement beschritten werden kann, im Wissen, dass ganz viele Menschen ihn mit mir gehen.