Zum Anbeten, auch wenn ­sie keine Göttin ist

Feline Tecklenburg, 24. April 2025
Neue Wege 3.25

Die Autorin ist ein Swiftie, ein Fan der enorm erfolgreichen Popsängerin Taylor Swift. Dass ein lang herbeigesehntes Konzert in Wien wegen einer terroris­tischen Bedrohung abgesagt wurde, führt zu einer unerwarteten spirituellen Erfahrung und zum Nachdenken über Kapitalismus, Care-Arbeit und das lustvolle Leben von Ambivalenzen.

Am 9. August 2024 wollte ich wie 65’000 andere Menschen auch zu einem Gottesdienst im ­Wiener Ernst-Happel-Stadion. Dieser wurde, wie die Feiern am Tag davor und danach, wegen eines geplanten mutmasslichen Terror­anschlags abgesagt. Das klingt ungewöhnlich und bedrohlich? Lassen Sie mich erzählen!

Gleich zu Beginn will ich meine Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft deutlich machen: Ich bin bekennende «Swiftie». Ich bin Fan einer der derzeit erfolgreichsten Popmusikerinnen der Welt: Taylor Swift, geboren 1989 in Reading, Pennsylvania. Die ursprünglich in der Countryszene beheimatete Sängerin veröffentlichte ihr Debütalbum 2006 im Alter von 17 Jahren. Spätestens mit ihrem 2014 erschienenen Album 1989 wechselte sie das Genre von Country zu Pop und setzte ihre beispiellose Karriere mit bis heute elf erschienenen Studio­alben und zahlreichen Auszeichnungen fort.1 Auch den letzten Popverweigerer*innen sollte Taylor Swift in den letzten zwei ­Jahren bekannt geworden sein, als sie mit ihrer Rekorde brechenden Welttournee, der «Eras Tour», in den Medien dauerpräsent war.

Trost in der Pandemie

Heute schreibe ich diesen Text als Swiftie, und doch war ich gewissermassen late to the party. Lange Zeit war Taylor Swift für mich ein Popstar unter vielen. Eine US-amerikanische Sängerin, deren Musik ich naserümpfend als Massenprodukt bezeichnete, über das ich erhaben war.

Das änderte sich mit der Corona-Pandemie, die mich biografisch in eine zähe Pausen­position versetzte. Eine Zeit, in der ich eines Abends aus Langeweile die Netflix-Dokumentation über Taylor Swift, Miss Americana, schaute – der Beginn meiner «Bekehrung». Die perfekt durchkonzipierte und mit einem klugen Coming-of-Age-Narrativ versehene Dokumentation erzählt die Geschichte eines bodenständigen Mädchens aus einer Kleinstadt, die ganz im Sinne US-amerikanischer Leistungsmythologie fleissig und unbeirrbar ihrer Leidenschaft zur Musik nachgeht. Dass sie auf diesem Weg von zahlreichen Privilegien einer weissen, wohlhabenden Mittelschichtsfamilie profitierte, wird nicht erwähnt. Jedoch wird deutlich über die patriarchalen Machtverhältnisse der Popindustrie, ihre frauenfeindlichen Zuschreibungen und über Swifts daraus entstehende zeitweilige Essstörung berichtet. Und über ihre persönliche Entwicklung, sich offensiv für die Demokratische Partei und die Rechte von LGBTQIA+ auszusprechen, auch wenn sie sich damit der Gefahr aussetzte, viele Fans in der tendenziell republikanisch wählenden Countryszene zu verlieren. Taylor Swift wurde durch diese in Teilen politische Dokumentation für mich plötzlich auch musikalisch interessant – eine junge Frau, die sich in einer patriarchalen Industrie behauptet und selbstbewusst ihren Weg geht.

Popkulturelle Hausapotheke

Die Dokumentation eröffnete mir einen emotionalen Zugang zu ihrer Musik. In der herausfordernden Zeit der Pandemie wurden Swifts Lieder zu einem wohltuenden, musikalischen Trost. Zugleich war das der Beginn meiner neuen Beziehung zur Mainstream-Popmusik. Anfangs noch verschämt, versuchte ich, zu meiner neuen Leidenschaft zu stehen. Wenn Bekannte von meiner Begeisterung für Swift erfuhren, reagierten sie oft überrascht – was mir verdeutlichte, wie herablassend nicht nur ich damals auf Pop schaute. Popmusik verband ich zu dem Zeitpunkt meist abwertend mit «einfacher» Musik und kreischenden Teenies, die keinen Musikgeschmack hatten. Sie stand im Gegensatz zu den anspruchsvollen Klängen von Jazz und Klassik und der Musik, für die man eine gewisse Kenntnis brauchte, um sie zu geniessen. Swiftie, also Swift-Fan, zu werden bedeutete, eigene Vorurteile aufzulösen.

Schnell wurden Swifts Lieder zu meiner popkulturellen Hausapotheke in allen Lebenslagen. Ob Liebeskummer oder Verliebtsein, politische Ohnmachtsgefühle, Orientierungslosigkeit im Berufsanfang – in Swifts ­riesigem Repertoire ist für viele Lebenserfahrungen etwas dabei. Es waren Lieder, mit denen ich mich verstanden und angenommen fühlte und von denen ich mittlerweile viele auswendig kann. Ich habe bis heute eine grosse Freude daran, Sätze aus ihren Liedern in meine Alltagsgespräche einzubauen – oft fällt das meinen Gesprächsgegenübern gar nicht auf.

Ein Konzert wie ein Gottesdienst

Es entstand der Wunsch, diese Sängerin einmal live bei einem Konzert zu erleben – und als sie 2022 ihre nächste Welttournee ankündigte, war ich fest entschlossen, dabei zu sein. Der Ticketkauf war ein einziger Nervenkrimi, denn es gab viel mehr Nachfrage als Plätze in den ausnahmslos ausverkauften Stadien, in denen sie gastierte. Einige graue Haare und ausgeschüttete Stresshormone später ergatterten Freund*innen und ich bereits im Juli 2023 Tickets für eines ihrer Wiener Konzerte im darauffolgenden Jahr. Selten habe ich so lange auf ein Ereignis hingefiebert wie auf dieses Konzert.

Swifts Tour hiess nicht umsonst «Eras Tour». Es war eine dreieinhalbstündige (!) Show mit 44 Liedern und sechzehn Kostümwechseln, die eine musikalische Reise durch fast all ihre Alben bedeuteten. Bei den ­­Swifties ist jedes Album eine Musikära, englisch Era. Die Fans kleiden sich in grosser Zahl in kreative, glitzernde Outfits, die sich meist auf eins der Alben beziehen. Als die Tour im März 2023 in den USA begann, schaute ich mir online unzählige Videos der Konzerte an und überlegte, angelehnt an welche Ära ich mich kostümieren wollte.

Im Laufe der Tour entwickelten sich bestimmte Interaktionen zwischen Swift und ihren Fans. Ich lernte sie im Vorhinein alle auswendig. Dazu gehören das Einzählen eines Re­­frains oder minutenlanger Applaus nach einem bestimmten Song. Beim Lied Don’t blame me schreien die Fans kurz vor der Bridge «Take us to church, Taylor» – woraufhin aus vielen Scheinwerfern an der Bühne ein Dom aus Lichtsäulen um Swift herum entsteht und sie begleitet von vom Gospel beeinflussten Gesang ihrer Backgroundsänger*innen eindrücklich ihr Lied ins Mikrofon schmettert.

Viele berichteten nach ihren Konzertbesuchen auf Social Media, dass sie gerade beim grössten Gottesdienst ihres Lebens waren und ein wahrhaft spirituelles Erlebnis hatten. Diese Berichte fand ich ungemein faszinierend, auf meine eigenen Eindrücke war ich gespannt. Mit zehntausenden anderen Fans in einem ausverkauften Stadion zu stehen, dreieinhalb Stunden lang Lieder mitzusingen, die so viel Trost und Freude bedeuten, und auf der Bühne die Person zu sehen, die all diese Lieder in die Welt gebracht hat: Ist das womöglich wirklich ein spirituelles Erlebnis, ein Gottesdienst des Pop? Wenn ja, was genau macht diese Spiritualität des Konzertes aus? Und ist Swift dann die Priesterin des Pop oder die Göttin selbst?

Dem Terror trotzen

Wie so oft im Leben kam es anders als geplant. Am Abend des 7. August 2024, zwei Tage vor «meinem» Konzert, trat der Konzertveranstalter mit der Information an die Öffentlichkeit, dass alle Auftritte von Taylor Swift in Wien ersatzlos gestrichen seien. Der Grund war die polizeiliche Aufdeckung eines mutmasslich geplanten Terroranschlags auf eines der Konzerte. Die Ermittlungen liefen zu dem Zeitpunkt auf Hochtouren, der mutmassliche Attentäter wurde verhaftet.2

Als meine Freund*innen und mich diese Information erreichte, sassen wir gerade fröhlich in einer Wiener Kneipe und planten unseren Konzerttag. Selten habe ich eine Stimmung so rasant kippen erlebt: Meine Enttäuschung war enorm – und meine Wut war es auch. Denn Ziel des vereitelten mutmasslichen Anschlags war ein Konzert, das vor allem von Frauen jeglichen Alters, von queeren Personen und von Kindern besucht werden sollte. Ein Konzert, das immer wieder als «Safer Space» bezeichnet wurde, als ein Raum mit weniger Diskriminierung für diese Personengruppen. Der Anschlag galt der schieren Lebensfreude und der selbstbewusst weiblich-queeren Community der Swifties.

Wien war zum Zeitpunkt der Konzertabsage bereits voll von den ungefähr 190’000 Fans, die Tickets für eins der drei Konzerte hatten. Leicht erkennbar an den für Swifties bedeut­samen selbstgeknüpften Freundschaftsbändern sah man Gleichgesinnte überall. Anstatt sich in die Hotelzimmer zurückzuziehen, Wien zu erkunden oder gleich nach Hause zu fahren, trafen wir uns zu Tausenden in der Wiener Corneliusgasse, ausgewählt in Anlehnung an Swifts Song Cornelia Street. Meine Freund*innen und ich zogen unsere Kostüme an. Wir bastelten Plakate mit Swifts Lyrics, wie beispielsweise «Fuck The Patriarchy» oder «The Smallest Man Who Ever Lived», die wir als Botschaften gegen den mutmasslichen Attentäter mit einer Nähe zur Terrorgruppe Islamischer Staat sowie die damit einhergehende Instrumentalisierung durch rechte Politiker*innen in Österreich nutzten. Und dann gingen wir anstatt ins Stadion auf die Strasse. Wir standen zu Tausenden in der Corneliusgasse und sangen Swifts Lieder – stundenlang. Am Tag unseres abgesagten Konzerts stand ich sechs Stunden dort. Wenn ich Videos von diesem Tag anschaue, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Gemeinsam mit mir wildfremden Menschen in den kreativsten glitzernden Kostümen sang ich meine Wut und meine Enttäuschung raus. Wir trösteten uns, weinten, redeten über die Bedrohung durch die Anschläge, teilten Trinkwasser und Essen – und wir sangen, sangen, sangen. Wir erlebten sogar inmitten der Menge einen Hochzeitsantrag, der eigentlich beim Konzert hätte stattfinden sollen. Es war üblich, dass sich Pärchen während der Konzerte bei bestimmten Liedern Anträge machten.

Die Stunden in der Corneliusgasse wurden so unfreiwillig eine reine Gemeindeveranstaltung ohne die Anwesenheit der Priesterin. Wo eine Kirchengemeinde im Gottesdienst eine Orgel nutzt, um in Melodie und Takt zu bleiben, hatten wir meist einen Lautsprecher, der ein Lied vorgab. Als die Lautsprecherakkus erlahmten, stellten uns die Anwohner*innen aus ihren Wohnungsfenstern heraus ihre Musik­anlagen zur Verfügung. Sie wurden dafür bejubelt und mit vielen Freundschaftsarmbändern als Dankeschön bedacht. Ein*e Anwohner*in warf uns Blumen aus dem Fenster zu. Wir sangen bis in die Nacht, mit Smartphone-Taschenlampen als Kerzenersatz.

Die Schlagzeile «Swifties trotzen dem Terror»3 bringt das besondere Momentum dieser Konzertabsage für mich auf den Punkt. Ein lebensbejahendes, queeres Popfest wurde wegen Terrorgefahr abgesagt. Viele von uns wären konkret bedroht gewesen durch die Anschlagspläne, und wir nahmen uns dennoch den öffentlichen Raum. Wir sangen die Lieder, wegen deren wir nach Wien gekommen waren, in unseren glitzernden Kostümen und aus Freude über die Musik. Damit trotzten wir der Bedrohung all dessen, was Swifties stellvertretend in einer Welt repräsentieren, die geprägt ist von Misogynie, Queerfeindlichkeit und von rechtem und fanatischem Gedankengut.

Sind Swifties eine Religionsgemeinschaft?

Bis heute klingen die Wiener Erlebnisse in mir nach – sowohl die Enttäuschung, das Konzert nicht erlebt zu haben, als auch die Spiritualität und Gemeinschaft, die ich im gemeinsamen Singen in der Corneliusgasse erfahren habe. Mich beschäftigt, warum mich das so tief berührt und welchen Anteil daran womöglich eine religiöse Komponente hat.

Religion wird natürlich sehr unterschiedlich definiert. Erich Fromm beispielsweise bezeichnet Religion als ein von einer Gruppe geteiltes System des Denkens und Handelns, das der oder dem Einzelnen einen Rahmen der Orientierung und ein Objekt der Hingabe biete.4 Dorothee Sölle spricht von dem Wunsch, «ganz zu sein».5 Bei der Definition von Spiritualität wird es noch schwieriger. Es gibt keine allgemein anerkannte Beschreibung, aber es handelt sich in jedem Fall um intensive psychische Zustände und eine Hinwendung zu einem sinnlich nicht fassbaren und rational nicht erklärbaren Erleben.6

Das, was ich in der Corneliusgasse in der geteilten Enttäuschung, der Wut und der Kraft des gemeinsamen Singens erlebt habe, war ein intensiver psychischer Zustand, den ich kaum rational erklären kann. Diese Mobilisierungs- und Verbindungskraft hatte ich bisher auf keiner politischen Demonstration und in keinem Gottesdienst erlebt: Die Fähigkeit, Trost aus dem gemeinsamen Singen mit mir fremden Menschen zu ziehen, mich auf eine berührende Art aufgehoben zu fühlen inmitten dieser Menschenmenge. In der Corneliusgasse wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich einer Form von Gemeinschaft angehöre, einer queeren Gemeinde des Pop mit einem eindeutigen Objekt der Hingabe: Taylor Swift und ihre Musik. Ihre Lieder geben Orientierung und schenken Trost. Ihre zugängliche, weil recht einfache Musik ist Grundlage für ein gemeinschaftsstiftendes Element – sie ermöglicht vielen Menschen, die Harmoniefolgen zusammen zu singen. Es gibt keine Barrieren in Form anspruchsvoller Kenntnisse zu Jazz oder Klassik. Und die Swifties verfügen über ein geteiltes System von Werten, wie die Bejahung von Diversität und das Zulassen menschlicher Gefühle. Laut dem Time Magazine gibt Swift ihren Fans, von denen viele erleben, dass die Gesellschaft ihre eigenen Gefühle als belanglos betrachte, die Möglichkeit, zu erfahren, dass ihr Innenleben wichtig sei. So kürte das Magazin Swift dann auch zur Person des Jahres 2023 und begründete dies unter anderem damit, dass Swift in einem Jahr voller Dunkel­heit einen Weg gefunden habe, Grenzen zu überwinden und eine Quelle des Lichts zu sein. Niemand sonst auf der Welt könne heute so viele Menschen auf diese Art erreichen.7

Die Einschätzung, dass die Swifties teils religiös agieren, teile ich mit anderen – erst im Januar 2025 fand die theologische Tagung «Take us to church, Taylor» an der Universität Wien statt. Die vier Organisator*innen schreiben, je nach Religionsbegriff könne man besser oder schlechter Vergleiche zwischen der Fankultur um Swift und herkömmlichen Religionen ziehen. Liege dem Religionsverständnis keine transzendente Anforderung zugrunde, sondern eine Definition über immanente Aspekte wie Rituale und Bräuche, dann sei es gut möglich, von einer religiösen Perspektive zu sprechen. Das zeige sich auch in der kraftvollen Reaktion der Fangemeinde auf die Konzertabsage. Swifts Fähigkeit, mit ihrer Musik Resonanz- und Identifikationsräume zu schaffen, biete viele Anhaltspunkte für theologische Diskussionen über die Bedeutung von Popkultur in den Lebensrealitäten vieler Menschen.8

Fehlanzeige Kapitalismuskritik

Das führt mich zu guter Letzt zu einem zweiten Zugehörigkeitsbekenntnis: Ich bin nicht nur Swiftie, sondern auch eine kapitalismuskritische Politökonomin und setze mich als Care-Aktivistin für eine Anerkennung von Sorgearbeit als Grundlage von Wirtschaft ein. Diese Mischung bringt mich öfters in ambivalente Positionen. Denn Taylor Swift wird unheimlich viel Einfluss zugesprochen, und sie beherrscht das kapitalistische Vermarktungsspiel wie keine Zweite. Sie ist mittlerweile Milliardärin. Ihre Vermarktungsstrategie basiert auf einer engen Beziehung mit den Swifties über Social Media. Ticketpreise für ihre Konzerte sind jedoch jenseits der finanziellen Möglichkeiten eines Grossteils ihrer Fans. Auf der einen Seite gewiefte Geschäftsfrau, ist sie hingegen bei benachteiligten Personengruppen grosszügig: Bei ihren Auftritten in Grossbritannien finanzierte sie beispielsweise ein volles Jahresbudget der örtlichen Tafeln an den Konzertorten9 – man munkelt, es sei deutlich mehr, als die britische Regierung pro Jahr dafür ausgebe.

Als Swifts Beziehung zum US-amerikanischen Footballspieler Travis Kelce öffentlich wurde, entstand vor allem unter jungen Frauen ein plötzlicher Hype um den männlich geprägten Football, wie es sich die milliardenschwere US-amerikanische Footballliga NFL im Traum nicht hätte vorstellen können. Eine Person schrieb auf Social Media, sie wünschte, Taylor Swift würde statt Travis Kelce einen Klima­forscher daten. Denn die Klimakrise steht leider bislang nicht auf der politischen Prioritätenliste der notorischen Privatjetfliegerin. Und auch im US-amerikanischen Wahlkampf wurde monatelang auf ein Statement Swifts gewartet – vielfach wurde davon ausgegangen, dass sie ein Zünglein an der Waage der Wahlergebnisse sein könne. Wie wir heute wissen, war sie es nicht, obwohl sie sich letztlich in einem Social-Media-Post für Kamala Harris aussprach. Den Post unterschrieb sie als Childless cat lady, also als kinderlose Katzenfrau – ein Seitenhieb auf die misogyne Äusserung eines republikanischen Politikers, der Spitzenpolitiker*innen der Demokraten so bezeichnet hatte.10 Ungeachtet meiner persönlichen Freude über diese feministisch pointierte Spitze: Keinem einzelnen Menschen sollte so viel Einfluss und Macht in einem Wahlkampf zugeschrieben werden, zumal in einem demokratischen System.

Musik als Care-Arbeit

Die Wiener Theolog*innen der Tagung «Take us to church, Taylor» schreiben ebenfalls, dass Taylor Swift mit ihrer Musik spirituelle Bedürfnisse befriedige.11 Als Care-Aktivistin sehe ich nicht nur spirituelle Bedürfnisse, sondern ganz allgemein die Bedürfnisse nach Kunst und Kultur befriedigt – oder besser gesagt: bedient. Fasziniert verfolge ich seit Jahren die von Fans oft formulierte Bezeichnung Mother für Taylor Swift sowie die Aussagen «Mother is mothering» oder «Mother is serving»12. So lauten häufig Kommentare zu Fotos und Videos auf Social-­Media-Kanälen, bei denen beispielsweise eine tolle Performance von Swift zu sehen ist. Diese Formulierungen haben ihren Ursprung im New York der 1970er Jahre in der Schwarzen Drag- und Transgenderszene. Diese warf klassische Mutterschaftsbilder über den Haufen, weil es in einem queeren Sinn darum ging, neue fürsorgliche Beziehungen jenseits der Herkunftsfamilien zu führen.13 Dass dies von Swifties und anderen Fans auf künstlerische Akte bezogen wird, stellt das klassische Bild des «Bemutterns» in ein völlig neues Licht. Was heisst es, wenn jemand von der Bühne aus bemuttert? Dass Menschen versorgt und genährt werden mit etwas, das sie neben ihrer körperlichen Bedürfnisbefriedigung brauchen? Nämlich Inspiration und die Teilhabe an kreativen Prozessen genauso wie spirituelle Bedürfnisbefriedigung im Sinne intensiver psychischer Erfahrungen?

Ambivalenzen lustvoll leben

Ich kann mir die kritischen Stimmen zu diesem Artikel vorstellen. «Wie albern, so viel Aufmerksamkeit für eine unglaublich reiche Sängerin!» oder «Der Vergleich mit Religion ist absurd, das ist doch nur ein überhöhtes Massenprodukt!» oder «Diese verwöhnten Fans sollen sich nicht so anstellen wegen einer Konzertabsage, es gibt andere Probleme auf der Welt!». Teilweise habe ich diese Gedanken selbst, vor allem, wenn ich an Swifts Reichtum, ihren Einfluss auf ihre Fangemeinde und die furchtbare CO2-Bilanz ihrer Aktivitäten denke. Doch je mehr ich mich mit dem Phänomen Swift in all seinen Facetten beschäftige, desto mehr denke ich, dass es überheblich ist, Taylor Swift, ihre Popmusik und ihre Fans nicht ernst zu nehmen. Dass es sexistisch ist, ihren Erfolg kritischer als den Erfolg berühmter Popsänger zu bewerten, dass es klassistisch ist, die Begeisterung für ihre Musik als schlechtes Massenphänomen abzutun14, und dass es naiv ist, die Mobilisierungs- und Verbindungskraft ihrer jungen Hörer*innenschaft zu unterschätzen. Wie ich das auch tat, bevor ich mich zum Swiftie und zum Popmusikfan bekehren liess.

Ein Professor von mir sagte einmal den denkwürdigen Satz, man müsse in Zeiten wie diesen die eigenen Ambivalenzen lustvoll leben. Ich betrachte vieles am Phänomen Taylor Swift kritisch und höre dennoch leidenschaftlich gerne ihre Lieder. Eine Haltung, die ich womöglich mit vielen Anhänger*innen von Religionen gemeinsam habe auf der Suche nach Trost, Zuversicht und Zugehörigkeit in einer von Krisen geschüttelten Welt. In diesem Sinne möchte ich – wie kann es anders sein – mit einem Zitat der «Mother of Pop» schliessen: «You should find another guiding light, but I shine so bright!», also: «Du solltest dir einen anderen Leitstern suchen, aber ich scheine so hell!»●

  1. Vgl. Jörn Glasenapp: Taylor Swift. 100 Seiten. ­Stuttgart 2024.

  2. www.tagesschau.de/ausland/europa/terror-­taylorswift-100.html

  3. Ebd.

  4. Vgl. Erich Fromm: Haben oder Sein. München 1991.

  5. Vgl. Dorothee Sölle: Die Hinreise. Stuttgart 1975.

  6. Vgl. Karl Baier (Hrsg.): Handbuch Spiritualität: ­Zugänge, Traditionen, interreligiöse Prozesse. ­Darmstadt 2006.

  7. www.time.com/6342806/person-of-the-year-2023-taylor-swift/

  8. Vgl. Linda Kreuzer, Eva Puschautz, Annika Schmitz und Noreen van Elk, www.feinschwarz.net/popkultur-­und-theologie-am-beispiel-von-taylor-swift/

  9. www.spiegel.de/panorama/leute/taylor-swift-spendet-­rekordsumme-an-tafeln-in-grossbritannien-­a-159c6406-efc6-4201-b3e9-5e2338b48f58

  10. www.bbc.com/news/articles/c89w4110n89o

  11. Vgl. Linda Kreuzer, www.kath.ch/newsd/­sozialethikerin-tailor-swift-wird-als-eine-art-alltagsheilige-verehrt/

  12. Übersetzung etwa: «Mutter bemuttert/bedient».

  13. Vgl. Esther Newton: Mother Camp: Female Impersonators in America. Chicago 1972.

  14. www.taz.de/Gehaltlose-Kritik-an-Popkultur/!vn6061748/

  • Feline Tecklenburg,

    *1992, ist Politökonomin, Mitgründerin und geschäftsführende Co-Vorständin der postpatriarchalen Denk- und Handlungswerkstatt Wirtschaft ist Care.