«Der Schmerz danach» steht auf dem Plakat geschrieben. Das ist neu. Bis jetzt fielen fundamentalistisch-christliche AbtreibungsgegnerInnen eher durch Bilder von rosaroten Embryonen oder blutigen toten Föten auf. Im Zentrum ihrer Politiken stand das Überleben des ungeborenen Kindes. Unter dem Motto «Der Schmerz danach» wird dieses Jahr rund um den «Marsch für das Leben» breit und europaweit für ein Abtreibungsverbot mobilisiert. Mit diesem Slogan verschiebt sich dieser Fokus überraschend: Hin zur abtreibenden Person. Dieser proklamierte Tabubruch, den Schmerz nach einer Abtreibung öffentlich zum Thema zu machen, ist tatsächlich einer: Selten findet dieser Schmerz Gehör in der Öffentlichkeit. Ist der sogenannten «Pro life – Bewegung» also zu danken?
Schmerz ist etwas ganz Körperliches, Intimes und Subjektives. Für seine Intensität beispielsweise gibt es keine objektiven Massstäbe. Und doch hat Schmerz auch eine politische, öffentliche, gesellschaftliche Dimension: So schreiben sich unterdrückende Strukturen, Machtdynamiken und Diskriminierung in Körper ein, hinterlassen ihre Spuren oder Eindrücke, wie Affekt-Theoretikerin Sara Ahmed es formuliert. Die Feministin plädiert dafür, den Schmerz in die öffentliche Sphäre zu bewegen: Moving the pain into the public domain.
Gerade der Uterus ist ein mitunter schmerzhaftes Politikum, die weibliche Geschichte zum Thema Abtreibung eine Schmerzensgeschichte: Bis zum Aufbau von frauenbewegten alternativen Gesundheitsstrukturen und einer Wissensweitergabe unter Menschen mit Uterus, waren diese strukturell einer entmündigenden patriarchalen Kultur des Unwissens und der (sexuellen) Ausbeutung ausgeliefert. Noch die Generation meiner Mutter dachte nicht selten an tödliche Krankheiten, als die erste Menstruation einsetzte. Moralisch-religiös aufgeladen sanktioniert Slut-Shaming Frauen dafür, eine begehrende Sexualität zu haben. Eine Schwangerschaft ausserhalb der Ehe war das Zeichen für eine «schlampige» Lebensweise, die Betroffene ein «gefallenes Mädchen». Mutter eines unehelichen Kindes zu sein war Garant für sozialen Abstieg. Die Nachwirkungen dieser schamhaften und düsteren Verbotskultur sind bis in meine Generation deutlich spürbar. Mit den möglichen unerwünschten Folgen von sexuellen Erlebnissen waren Menschen mit Uterus meist allein gelassen: Der Staat bot ihnen weder Schutz noch Unterstützung. Die Illegalisierung des Schwangerschaftsabbruches war Jahrhunderte lang die Ursache von schmerzhaften, oft tödlichen Fehleingriffen. Die Aufarbeitung dieser Schmerzensgeschichte gehört zweifelsohne «into the public domain».
Die auf der Basis dieser Geschichte erkämpften Errungenschaften sind auch die Voraussetzung für ein öffentliches Sprechen und Gehört-Werden punkto «Schmerz danach», die Trauer und den Schmerz um ein abgetriebenes Kind: für das Wissen über den eigenen Körper und Informationen um die Schritte einer Abtreibung selbstbestimmt gehen zu können, ein Verständnis für das, was im eigenen Körper passiert, für eigene Rituale während und nach dem Verlust, Zugang zu moralfreien Austausch- und Unterstützungsstrukturen, eine öffentliche Atmosphäre, die die Wahlfreiheit von schwangeren Personen hochhält, auch in ihren juristischen Strukturen, sowie eine öffentliche Anerkennung, dass dieser Schmerz zunächst einfach mal da sein kann, eben in manchen Fällen dazugehört und Raum braucht.
Der Slogan «Der Schmerz danach» ist jedoch ein gutes Beispiel dafür, wie mit intimen und persönlichen Gefühlen eine bestimmte politische Agenda befördert wird: Der Schmerz nach einer Abtreibung wird instrumentalisiert. Der nahegelegte Kurzschluss, dieser Schmerz würde zwangsläufig auch ein Bereuen des Abbruchs bedeuten, ist falsch. Schmerz und Reue können Hand in Hand gehen, natürlich, und auch Reue nach einer Abtreibung muss gesellschaftlich sprechbar bleiben – aber sie ist nicht zwingend an den Schmerz über den Verlust gebunden, wie der Slogan und seine RuferInnen nahelegen. Der Zeigefinger, den der Slogan erhebt und mahnt: «Tu’s nicht, denn du wirst Schmerzen erleiden. Du wirst es bereuen!», dieser Zeigefinger ist mehr als moralisch. Er ist gewaltvoll und schreibt sich nahtlos in die frauenverachtende Schmerzensgeschichte des Politikums Uterus ein.